Christin Nichols – I’m Fine – Freudenhaus/Rough Trade 2022

Von Guido Dörheide (28.01.2022) Zu allererst muss ich mal zugeben, dass ich Prada Meinhoff nur vom Namen her kenne und somit völlig unvoreingenommen an Christin Nichols‘ Debütalbum herangehe. Da ich prinzipiell nicht fernsehe, sondern in meiner Freizeit ausschließlich Erdbeermarmelade koche, die ich dann mit einem saftigen Gewinnaufschlag an Waisenhäuser verkaufe, war sie mir bisher auch als Schauspielerin kein Begriff. Perfekte Voraussetzungen, um mich mit dem besagten Debütalbum zu beschäftigen.

Und was für ein Brett von einem Album das geworden ist! Ich weiß echt nicht, wo ich an zu schwärmen fangen soll: Da ist zuallererst die Musik. Massiv vom 80er-Jahre-New-Wave-Pop beeinflusst, Schlagzeugmaschine, schrammelnde Gitarre und ein Bass, wie er bässer nicht passen könnte (sorry Schepper, aber Witze über Elektrobassgitarristen werde ich mir wohl nie verkneifen können, gerade weil ich dieses Instrument in der zeitgenössischen Musik so mandatory finde, wie es mehr mandatory nicht geht). Und der Gesang klingt wie nicht hier auf dem Planeten, sondern irgendwo weit entfernt aufgenommen, und das mit einer Stimme, die spontan für einen gewissen Grad an Verzauberung sorgt.

Wo war ich? Ach so, ja, die Texte natürlich. Christin Nichols wurde in Bünde in der Nähe des Wiehengebirges geboren (die Älteren von uns erinnern sich an „Wechseljahre im Wiehengebirge“ von der unvergleichlichen Frieda und der wie immer bezaubernden Anneliese), ist Deutsch-Britin und als solche in Spanien aufgewachsen. Ihr Debüt-Album singt sie vorwiegend auf Deutsch und ganz teilweise mal auf Englisch ein. Das Album startet mit dem Titeltrack „I‘m Fine“ auf Englisch, und dann legt Frau Nichols so richtig in deutscher Sprache los: „Today I Choose Violence“ besticht für wenige Sekundenbruchteile mit einem saucoolen Bassriff, sodann nimmt der Text den/die Hörende/n (m/w/d) gefangen: Christin Nichols seziert frauenverachtende und chauvinistisches Sprach- und Gedankengut, dass jedem normal denkenden Menschen vor Bewunderung und Befürwortung der Atem stockt: Auf total coole Art & Weise rezitiert Nichols scheinbar aufgeklärt-coole männliche Wortbeiträge, die vor Misogynität nur so strotzen, und haut sie dann im Refrain mit Schmackes dahin, wo sie hingehören.

Der Hammer unter den Lyrics auf dem Album ist allerdings „Sieben Euro vier“: „Ich hab auch kein Sex-Appeal und kein Verkehr, ich hab auch kein Backup gemacht, und die Milch ist schon wieder leer.“ Ohne Scheiß: Das hätte Dylan nie besser hingekriegt. Und dann kommt der Kehrvehrs: „Ich möchte, dass es Euch schlecht geht, so richtig schlecht geht, so schlecht wie mir.“ Und man (also zumindest hier der Rezensent jetzt, also ich) glaubt es ihr nicht: Wenn ich „I‘m Fine“ höre, geht es mir gut. So richtig gut, weil es ein zu 99,99 % perfektes Album geworden ist.

Ich hoffe, dass sie „den Fame“, den sie in Track No. 5 des Albums will, auch kriegt, verdient hat sie das mehr als genug.