Christian Death – Evil Becomes Rule – Season Of Mist 2022

Von Guido Dörheide (28.11.2022)

Es war der 50. Geburtstag meines Freundes Klaus aus Gifhorn, der mir diese Band wieder ins Gedächtnis zurückgerufen hat: „Sex And Drugs And Jesus Christ“ hieß das Werk aus dem Jahr 1988, mit dem mir Klaus die Deathrockpioniere von Christian Death nahe brachte. Gründungsmitglied Rozz Williams war damals schon seit drei Jahren nicht mehr in der Band, und Bassist und dann auch Sänger Valor Kand hatte das Regiment im Hause CD an sich gerissen. Was mir durchaus gefiel, der druckvolle, von Kirchenkritik geprägte Düster-Rock Valors nahm mich deutlich mehr mit als Williams‘ vormaliges satanistisches Gejammer (das aber zugegebenermaßen auch was hat). Am vergangenen Samstag also die virtuelle Geburtstagsfeier bei Klaus, und im Vorfeld hatte ich mich in die Musik vertieft, die ich dereinst von ihm gelernt gekriegt hatte. Mit einer kleinen Hilfe von seinem Bruder Alex. Alien Sex Fiend, The Sisters Of Mercy, The Smiths, The Mission und eben auch CD. Da fiel mir ein – las ich nicht jüngst, dass eben diese CD ein neues Album veröffentlicht haben? Ja – genau so war es, und dieses Werk wurde in der Fachpresse vorwiegend abwertend besprochen: CD seien nicht mehr so stilprägend für den Gothrock, wie sie es früher mal waren, eigentlich nur noch peinlich und das neue Album ginge gar nicht. Ich habe mich daher von Mai bis vorgestern nicht getraut, da mal reinzuhören.

Und es dann doch getan. Und mir auch die Rezensionen nochmal angeschaut: Trotz allem Verriss im Grundtenor werden teilweise Maitris Bass, Valors Gesang und auch die Kompositionen durchaus gelobt. Und da schließe ich mich an:

Christian Death (also die zweite Reinkarnation mit Valor als Frontmann) waren für mich immer eine sehr rifforientierte Band. Eine wiedererkennbare Gitarre jaulte oder bretterte hart, und dazu wechseln sich der düster-donnernde Valor und wechselnde Lead-Sängerinnen ab (zunächst Valors damalige Partnerin Gitane Demone, dann ab 1991 Maitri, die neben dem mit Valor abwechselnden Gesang auch einen umwerfenden Bass beisteuert).

Das erste Stück auf „Evil Becomes Rule“, „The Alpha & The Omega“, beginnt mit Valors dunklem, warmen Gesang, der mich immer noch abholt, dann donnert ein Bass und Valor und Maitri wechseln sich beim Gesang ab. Gefällt mir gut. Auch das zweite Stück „New Messiah“ ist so aufgebaut: Beginn Valor, donnernde Gitarren und Bässe nebst Maitri im Refrain. Nichts gegen zu sagen.

Dann folgt mit „Elegant Sleeping“ das erste Highlight des Albums. Hier auch mal ein Kompliment an den Drummer Ryan Paolilli: Er leitet das Stück schön stoisch vor sich hin donnernd ein, dann setzen der Bass und die absolut valormäßig jaulende Gitarre ein, Maitri übernimmt den Leadgesang und das Stück steigert sich in eine Punkigkeit hinein, die tatsächlich an die mittelfrühen CD mit Rozz Williams und Valor gemahnen. Ich weiß hier jetzt nicht mehr, was ich noch mehr will, und bin sehr glücklich damit, wie sich Christian Death Anno 2022 anhören. Das anschließende „Blood Moon“ klingt 1:1 nach CD in den späten 80ern. Die Gitarre rifft dunkel-jaulend vor sich hin, Valor singt mit seiner düsteren Singstimme, alles steigert sich zu einem zugleich quietschenden und donnernden Pandemonium herauf, Valor und Maitri singen gemeinsam, sehr sehr schön! Anschließend beginnt „Abraxas We Are“ sehr schön stimmungsvoll schlagzeuggeladen, anschließend setzt eine Gitarre ein, die auch den Sisters Of Mercy in der Mitte der 80er alle Ehre gemacht hätte, dann singt Valor, im Hintergrund setzt wieder Maitri ein, gefällt mir gut.

Es folgen noch einige Stücke, die mich begeistern, wie z.B. „Beautiful“ mit Joy-Division-ähnlicher Gitarre und sehr sehr schönem Gesang von Maitri, „Rise And Shine“ hat was von den frühen The Mission plus Maitris Gesang, also wie viel mehr man hier den ursprünglichen Death Rock noch worshippen kann, weiß ich dann auch nicht. Das Titelstück „Evil Becomes Rule“ beginnt mit CD-typischem mehrminütigen Geklapper, dann viel Bass, viel Gitarre auf den unteren beiden Saiten und Maitris stimmungsvollem Gesang mit nicht mehr Text als „The Great Gig in the Sky“, dann gibt Valor noch einen wirklich guten Gesangspart zum Besten. Das Abschlussstück „Who Am I“ beginnt mit Valor, wie er sagenwirmal Frank Sinatra nachahmt, dann kreischt Maitri, anschließend wieder Valor, dazwischen schönes Bass- und Gitarrengedonner, also ehrlich, ich mag dieses Album und freue mich, dass CD nach all diesen vielen Jahren noch soo gut sind.

Ich bin der Meinung, wer im Jahr 2022 sagt, CD seien für den Goth Rock nicht mehr relevant, hätte auch im Jahr 1995 den Rolling Stones den Vorwurf machen können, dass sie nicht mehr den Rock‘n‘Roll neu erfänden. Glücklicherweise ist ein Volkswagen Golf „Christian Death“ bislang nicht geplant. Und den Opel Omega gibt es ja auch schon gar nicht mehr.

Und, liebe Lesende, gestatten Sie mir am Ende noch einige Worte zum Cover-Artwork von „Evil Becomes Rule“: So gut sah schon seit den späten 1980er Jahren kein Christian-Death-Album mehr aus.

[Edit 30.11.2022] Erst nach der Veröffentlichung dieser Rezension hat der Verfasser dieser Zeilen erfahren, dass Valor auf der Tour zu „Evil Becomes Rule“ durch erratisches verschwörungstheoretisches Gehabe sowie „Gaslighting“ aufgefallen ist. Der Autor und krautnick.de distanzieren sich von derlei abstoßendem und gefährlichem Verhalten. Ähnlich wie bei Morrissey, Van Morrison und anderen Künstlern bleiben ein in Teilen großartiges Werk und viel Nachdenklichkeit zurück.