Von Matthias Bosenick (22.03.2024)
Was haben die Beatles machen lassen? Aus der Liverpooler Echokammer präsentieren die Bayrischen Schwaben Carpet ihr neues Album „Collision“, das aufgrund der inzwischen fast schon wieder vergessenen Corona-Pandemie und den damit verbundenen physischen wie psychischen anderen Umständen in seiner Entstehung einem permanenten Wandel unterlag. Das muss man indes gar nicht so genau wissen, um zu erleben, dass die Augsburger die progressive Rockmusik mehrfach um sich selbst drehten, mit Trompeten und Orgeln bestückten und die sieben Tracks in einen wandlungsfähigen Fluss brachten. Und nein, die Beatles-Harmonien dominieren „Collision“ nicht, hier gibt’s auch Ausbrüche, die jene nie gewagt hätten. Oder?
Es sind vorrangig die Gesangsharmonien und der verhaltene Hall auf der Stimme, die die Analogie in Richtung Liverpool vor den inneren Ohren aufkommen lassen. Damit unterstreichen Carpet nur, dass die Beatles die ersten Progrocker waren, wie sie so vieles zuerst erdachten, denn Experimente und Verschachtelungen wie bei Yes, Genesis, Pink Floyd und so weiter finden sich auch bei ihnen bereits, nur nicht so episch ausgeufert. Das wiederum können Carpet, die Songs auf „Collision“ sind nicht ohne Grund zwischen fünf und neuneinhalb Minuten lang. Und weil es den Progrock mit Schachteln, Gniedeln, Rhythmuswechseln, einfallsreichen Breaks, Psychedelik, Space und allem schon gibt, bringen Carpet eben noch etwas mehr ein, lassen den Rock’n’Roll bratzend von der Leine, lassen den Bass grooven, spielen die Gitarren wie Thin Lizzy im Twindoppel und bauen neben Trompete und Fender Rhodes auch Flügelhorn und Roland-Synthie ein.
So entstehen Songs in Überlänge, die einen narrativen Fluss ergeben und durch diverse wechselnde Stimmungen streifen. Hohe Energie, dreckige Rockausbrüche gar, tauchen wie Inseln aus einem kontemplativen Progrock-Meer auf, das auch Lagunen für meditative Entspannung birgt. Immerhin zu sechst bedienen Carpet ihr Instrumentarium, besser: zu fünft, der Sechste ist für die zusätzlichen Gesangsharmonien dabei, da kommt einiges an feinen Ziselierungen und Schnörkeln zusammen, das die Tracks bereichert.
Es ist deutlich zu hören, dass die Carpet-Jungs schon einiges an Zeit zusammen verbracht haben. Das Debüt „The Eye Is The Heart Mirror“ erschien 2007, seinerzeit noch als Solo-Projekt von Netflix-Komponist Maximilian Stephan. Zur Band reifte Carpet erst 2013 mit dem offiziellen Debüt „Elysian Pleasures“, das neue Album ist das bereits vierte seitdem. Inmitten der chaotischen Entstehungszeit von „Collision“ traten Carpet noch mit den Augsburger Philharmonikern auf, einen gemeinsamen Song, „Pale Limbs“, kann man sich digital anhören.
Zur Band gehören heute neben Sänger und Gitarrist Maximilien Stephan noch Schlagzeuger Jakob Mader, Sigmund Perner an Fender Rhodes und Roland Juno, Bassist Hubert Steiner (bekannt von der Thees-Uhlmann-Band und der Post-Rock-Band Instrument), Martin Lehmann an Trompete und Flügelhorn sowie als Hintergrundsänger Maximilian Wörle, der auch die Aufnahmen und die Abmischung leitete. Das ergibt seit „Elysian Pleasures“ kaum Umbesetzungen, lediglich das Blasinstrumentarium wird von zum einen weniger Leuten und zum anderen einer ausgetauschten Person bedient.
Dieser Carpet muss magic sein, „Collision“ als Ergebnis eines pandemischen Pandämoniums lädt zu einem ereignisreichen Ritt ein. Damit ist ein Platz in der Europa League mehr als gesichert. Oh, halt, nein, nix über Fußball hier!