Von Guido Dörheide (14.03.2024)
Nicht nur der aktuelle Iron-Maiden-Frontmann, sondern auch dessen Nachfolger und Vorgänger Blaze Bayley hat jüngst ein Album veröffentlicht. „Circle Of Stone“ ist das ungefähr achte Studioalbum mit seiner selbstbetitelten Band, vorher war er unter dem Etikett „Blaze“ aktiv, davor bei Maiden, davor bei Wolfsbane. Die letzte Blaze-Bayley-Veröffentlichung „War Within Me“ ist erst knappe drei Jahre alt und ging spurlos an mir vorüber, weil ich die Blaze-Bayley-Ära bei Iron Maiden immer geflissentlich übersehen habe, da mir die Stimme nicht zusagte. Obwohl ich ursprünglich von ihm gesungene Maiden-Klassiker wie „The Clansman“ durchaus sehr gerne mag. Aber Maidens Stimme ist nun mal Bruce Dickinson.
Ich nutze also heuer meine Chance, vorurteils- und vorwissensfrei an „Circle Of Stone“ heranzugehen, und, um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ich bin begeistert. Unterm Strich macht dieses Album für mich noch mehr Laune als das aktuelle Dickinson-Album, da es sich nämlich zu keinem Zeitpunkt nach Maiden anhört und somit noch mehr Existenzberechtigung aufweist als das „Mandrake Project“. Bayley singt gänzlich unaufgeregt und anscheinend mühelos, dabei zeigt er gerade bei den ruhigeren Stücken, wozu er gesanglich fähig ist. Seine Stimme deckt weitaus weniger Oktaven ab als beispielsweise die eines Dickinson oder eines Halford, klingt aber klasse und wird von Bayley auch mit viel Energie und Hingabe eingesetzt. Dazu gerne mal „The Broken Man“ anspielen, dann werden Sie verstehen, was ich meine.
Auch musikalisch gefällt mir „Circle Of Stone“. Der Klang der Gitarren reicht von lässig und schrammelig über hektisch-frickelig bis hin zu progessiv-düster. Auch für Letzteres ist „The Broken Man“ ein gutes Beispiel. Eins meiner Lieblingslieder auf dem Album, und das will was heißen, denn normalerweise verwenden meine Widersacher Heavy-Balladen, um mich im Laufschritt um den Block zu treiben.
Aber von vorne: „Mind Reader“ eröffnet das Album in einem mittelschnellen Tempo und hier schrammeln die Gitarren zunächst und harmonieren im Refrain schön mit dem kraftvollen Gesang und Bayleys eher tiefer als hoher (aber auch nicht sehr tiefer) Stimme. Die Art zu singen im Refrain erinnert mich entfernt an einen der beiden Sänger von Mastodon, was ich auf jeden Fall schon mal sehr gut finde.
Auf „Tears In Rain“ setzt sich das fort, nur singt Bayley teilweise etwas höher und die Gitarrenarbeit ist anspruchsvoller, schneller und abwechslungsreicher. Mit „Rage“ folgt die erste Ballade, und hier kann Bayley seine gesanglichen Fähigkeiten erstmals voll ausspielen. Im ersten, sehr ruhigen Teil des Stücks legt er viel Wärme hinein und croont beinahe, während er im zweiten, von lässig rockenden Gitarrenriffs begleiteten Teil, aggressiver und schneidender klingt. Gerade nach einer Überdosis Air Raid Siren ist diese Art von Gesang genau das, was ich jetzt brauche. Später kommt ein bluesbasiertes, teilweise zweistimmiges Solo dazu – an dieser Stelle ein dickes Kompliment an Christopher und Luke Appleton an den Gitarren, die auch neben Bayley selbst als Songwriter in Erscheinung treten.
„The Year Beyond This Year“ bringt dann nochmal ein neues Element ein: Bayley beginnt ganz kurz A capella, dann setzen Schlagzeug, Bass und Gitarre ein, erst eher abgehackt, dann nimmt eine fröhliche Melodie Fahrt auf und eine ebenso fröhlich, wenn auch sehr tieftönend ratternde Gitarre begleitet diese. Und auch hier lohnt es sich wieder, den Facetten des Gesangs Aufmerksamkeit zu zollen, da sitzt jeder Ton und nichts bleibt dem Zufall überlassen, und immer, bevor die Darbietung ins Theatralische abzudriften droht, kriegt Bayley eindrucksvoll die Kurve.
„Ghost In The Bottle“ besticht mit einem hektischen, galoppierenden Gitarrenriff, und hier lässt sich ahnen, warum Bayley einst von Steve Harris als Dickinson-Nachfolger bei Iron Maiden verpflichtet wurde: Dieser Song hätte auch auf einer der beiden Maiden-Alben aus der Paul-Di’Anno-Ära enthalten sein können, nur dass Bayley klar besser singt als Di’Anno.
Dann folgt „The Broken Man“ und dann „The Call Of The Acestors“. Das Instrumental wartet tatsächlich mit einem Dudelsack auf und bildet das Intro zum danach folgenden Titelstück. Sackpfeifen passen natürlich gut zu keltischem Kram wie Steinkreisen und stimmen auch toll auf dieses riesengroße Mittelding aus Tennis und Kino ein, das uns bei „Circle Of Stone“ erwartet: Am Anfang lässt Bayley einen kraftvollen Bariton ertönen, dann tritt die eine Gitarre mit einer Art Tusch und dann die zweite mit einem hohen Frickelriff, das ich mir auch auf dem Dudelsack gespielt vorstellen könnte, auf den Plan, dann alles durcheinander und große Melodien bis zum Abwinken. Metalsongs brauchen Soli, und das auf der Hälfte des Stücks auf beiden Gitarren gespielte ist nicht nur lang, sondern auch wunderschön.
Bis hierher haben Bayley und die Band gezeigt, was sie an Qualität und Abwechslung drauf haben und könnten eigentlich bis um Ende nochmal frisch und unbeschwert aufspielen, ohne sich etwas beweisen zu müssen. Und genau das tun sie auch: Mit „Absence“ schütteln sie lässig eine Rocknummer im gehobenen Tempo aus dem Ärmel, „A Day Of Reckoning“ zeigt, dass Powerballade nicht zwangsläufig ein Synonym für große Kacke ist, auf „The Path Of The Righteous Men“ wird nochmal gerockt, als gäbe es kein Morgen, und mit „Until We Meet Again“ beschließt eine nahezu federleichte Klavierballade das Album, auf der Bayley von zwei Sängerinnen (Anne Bakker und Tammy-Rae Bois) sowie einer Violine unterstützt wird und am Ende doch noch in opernhafte Theatralik verfällt, dieses aber sehr songdienlich und somit darf er das.