Von Guido Dörheide (16.01.2023)
Ja wow! Von der unbekannten Newcomerinnen-Künstlerin zur Album-der-Woche-Artistin auf Spiegel minus Online Punkt de! Who would have thunk? Ich selber habe Billy Nomates tatsächlich erst durch Sleaford Mods kennen und schätzen gelernt gekriegt, als sie auf deren letzten Album im Jahr 2021 auf „Mork‘n‘Mindy“ einen ganz hervorragenden Gastgesang beigesteuert hat und auch im dazugehörenden Video eine mit ihrer ebenso blonden wie bewusst aus der Zeit gefallenen Vokuhila-Mähne (die MitgliederInnen des P-Jahrgangs des Gymnasiums Hankensbüttel erinnern sich noch an Herrn Mähne, einen weiteren Protagonisten dieser in den 80er Jahren überaus populären Haarfrisur) nicht wegzudenkende Rolle spielte. Wenn man Billy Nomates in diesem Video beim Singen ins Gesicht sieht, weiß man, das ist jetzt hier nicht nur irgendwie so trallala oder so, das ist jetzt hier eine richtig große Sache und sie meint das ernst. Jason Williamson von Sleaford Mods revanchierte sich und lieferte bereits im Jahr zuvor auf „Supermarket Sweep“ auf Billy Nomates‘ 2020er Debutalbum „Billy Nomates“ einige an Sleaford-Modsiger Motzigkeit nicht zu überbietende Gastzeilen ab.
Der Name „Billy No-Mates“ steht im Angelsächsischen für einen Menschen, der Single ist. Single nicht im Sinne von „keine Beziehung“, sondern Single im Sinne von „keine Freunde“. Also sozusagen ein MoF, ein Mensch ohne Freunde. In Wirklichkeit heißt Billy Nomates Tor Maries, und dass sie keine Freunde hat, kann ich mir nicht vorstellen.
Ihre ersten Veröffentlichungen „No“ aus 2019, das schon erwähnte „Billy Nomates“ aus dem Jahr 2020 und diverse EPs davor und danach bestachen durch einen DIY-Postpunk-Ansatz mit Schlagzeugmaschine, beeindruckender Gitarre und beiläufig hingeworfenem Gesang mit einer überaus wiedererkennbaren, tollen Stimme und direkten Texten. „No“ sagt da schon sehr viel, es handelt sich ja schließlich dabei bereits um ein Wort, das allein für sich genommen schon ziemlich alles sagt.
Beim Hören der ersten Takte von „Cacti“ (Englisch für „Kaktusse“) musste ich mich erstmal hinsetzen und wusste nicht, ob ich „Wie Scheiße“ oder „Wie geil!“ schreien sollte. Ich entschied mich schließlich (der Blitz soll mich treffen, derweil i am Häusl hock‘, wenn ich jemals „schlussendlich“ schreiben sollte) für Zweiteres. „Cacti“ klingt deutlich glatter und deutlich produzierter als alles, was ich von Billy Nomates zuvor gehört hatte, und dazu noch Synthie-Gequietsche, und das verstörte mich zunächst. Zutiefst. „Cacti“ ist aber ehrlich sowas von ein Grower, es wächst nicht nur von Mal zu Mal beim Hören, es wächst bereits während des ersten Hörens, also quasi von Anfang an. Ein Meta-Grower sotauseggen. Proto-Grower? Was weiß ich. Also Zeit für eine Bestandsaufnahme dessen, was man kriegt, wenn man „Cacti“ an sich heranlässt – was man unbedingt tun sollte: Billy Nomates‘ Gesang ist auf jedem der zwölf Stücke über jeden Zweifel erhaben. Die Melodien nehmen die Hörenden gefangen – und die Musik? Das „ich kenne niemanden, der Schlagzeug spielt, also verwende ich eine Schlagzeugmaschine“-Moment ist Geschichte, egal wie synthetisch die Drums auf Billy Nomates‘ neuer Veröffentlichung klingen – sie sind da, weil sie eben genau so klingen sollen. Zusätzlich sind da Gitarren und Keyboards, wie sie nur in den 80er Jahren, also den 1980ern, geklungen haben sollten und mit den Drums dadurch auf das Perfekteste harmonieren. Und dazu kommt Billy Nomates‘ Stimme, die das ganze Angsambel nochmal abrundet und dadurch rund macht. Waren die 80er rund? Wurscht. Also, Billy Nomates macht das Ganze nochmal plastemäßig und schulterpolsterig. So waren glaube ich die 80er. Mit aufgekrempelten Sakkoärmeln. Wahrscheinlich war es das, was mich zunächst vor den Kopf haute, aber Scheiße – Billy Nomates ist es gelungen, einen Sound zu erschaffen, der apselut vintage und dennoch 1:1 zeitgenössisch ist, und das über einen Zeitraum von ca. 40 Minuten. Das ist toll, das ist groß!
Also könnte Billy Nomates nun darüber singen, wie gut es ihr geht und in welchem Ausmaß ihr die Sonne aus dem Arsch schiene. Tut sie das aber? Rhetorische Frage – Billy Nomates wäre nicht Billy Nomates, wenn sie das täte. Schon im ersten Stück beklagt sich Billy Nomates, dass das Gleichgewicht abhanden gekommen sei, der innere Friede sei zerbrochen und alles passiere ohne sie Niemand wird uns lieben, wir können uns nicht gegenseitig lieben.
Sie fragen, ob es besser wird? Nein, wird es nicht. Schon beim dritten Stück („Blue Bones (Deathwish)“) ist Billy Nomates so weit, dass sie ihrem imaginären Gegenüber mitteilt, dass dieser, wenn er denn sterben wolle, dies tun solle, schließlich würde er dafür nicht der Erlaubnis der Protagonistin bedürfen. Und dazu klimpert die Musik soo 80er vor sich hin, als würden sich Antagonist und Protagonistin lediglich darüber verständigen wollen, ob man aufwachen dürfe, bevor man ginge (jahaa – ich weiß, dass das auch kein so ganz simpler Liebesliedtext ist, aber zumindest ging es bei Wham! eher um verletzten Stolz als um so hier alles hier wie bei Billy Nomates jetzt hier).
Aber es kann ja nur besser werden und die Texte von „Cacti“ werden bestimmt gegen Ende der Platte hin immer fröhlicher. Wie – werden sie nicht? Das, liebe Lesenden von krautnick.de, lege ich Ihnen ans Herz, es selber herauszufinden. Lesend. Oder noch besser – zuhörend, begleitet von der wundervollen Musik auf „Cacti.“ Sind wir bereit, Freundschaft zu schließen mit einer verehrungswürdigen Musikerin, deren Künstlername vollkommen zu Unrecht nahelegt, dass Freundschaft hier weder möglich noch erwünscht sei.