Von Matthias
Bosenick (21.06.2019)
Im zehnten auf Deutsch erschienenen
Buch, und zwar dem siebten Band der Serie (verwirrend!) um den
Londoner Zauberpolizist Peter Grant, macht Ben Aaronovitch einiges
besser als zuvor: Er lässt den Leser besser an das komplexe
bisherige Geschehen anknüpfen und ermöglicht es damit auch
Neueinsteigern, so etwas in der Art wie Anschluss zu finden, schweift
nicht so ausgiebig ab wie sonst und bleibt in seinen Beschreibungen
anschaulich und nachvollziehbar. Eine schlechtere Story wie in manch
vorherigem Buch ergibt das gottlob nicht, auch wenn aus dem Whodonit
dieses Mal eine Actionjagd wird.
Denn das Who ist
ja bekannt: Der Gesichtslose hat nicht nur ein Gesicht bekommen,
sondern auch einen Namen, und Peters frühere Kollegin Lesley steht
dem Fiesling zur Seite. Sie planen, mit Hilfe der magischen Glocke
aus dem deutschen Titel einen anderen bösartigen Wiedergänger zu
opfern, um – Dinge zu bewirken. Die Erzählung wirkt dabei wie eine
notwendige Bremse auf der nun jahrelang rasenden Geschichte, denn
Aaronovitch knüpft ausdrücklicher an den relevanten losen
Erzählfäden aus früheren Büchern an als zuvor und fordert damit
das Erinnerungsvermögen seiner Fans nicht allzusehr heraus. Ist ja
auch verzwickt, was da alles los ist im gegenwärtigen London, das
mit Geistern, Flussgöttinnen, Fae und historischen Römern besiedelt
ist.
Wie immer arbeitet Aaronovitch den Hokuspokus in
seine Geschichte ein, als gehöre er selbstredend zur Realität.
Nicht zuletzt die Verwurzelung der Magie in Newton’schen Gesetzen
trägt zur realistischen Wahrnehmung der übersinnlichen Anteile bei,
so wenig wie die Protagonisten hinterfragt der Leser die Existenz
solcher Dinge. Das Ganze verwebt der vielseitig gebildete Autor mit
Popkulturanspielungen, die so weit gefächert sind, dass nicht jeder
Leser diesen Horizont hat und manche Gags einfach nicht versteht,
sich dann aber umso mehr über die freut, deren Hintergrund ihm
geläufig sind. Damit verankert Aaronovitch seine Hauptfigur in einem
postkindischen Erwachsensein, wie es die Umdievierzigjährigen
heutzutage in der westlichen Welt häufig leben. Grant ist einer von
uns, denken die, und nur solche Nerds feiern umfassend, wovon er
spricht.
Große Detektivarbeit ist dabei dieses Mal kaum
zu verrichten, da der Täter identifiziert ist. Hier geht es darum,
ihn dingfest zu machen und zuvorderst daran zu hindern, sein
geplantes böses Werk auszuführen. Interessanterweise setzt
Aaronovitch seine Ich-Figur Peter Grant im letzten Drittel in
Gefangenschaft und nimmt ihn damit aus der Handlung heraus, also aus
den Ermittlungs- und Verfolgungsarbeiten. Sein großes Geschick
offenbart sich darin, dass diese Passage dennoch nicht überflüssig
oder langweilig wirkt, anders etwa als manche Elemente im
„Silmarillion“ von J.R.R.Tolkien, das Grant zu lesen bekommt.
Wohlig zu Herzen geht überdies das mit Grants Gefangenschaft
verbundene Schicksal einer versklavten Fae.
Aaronovitch
hat sein Urban-Fantasy-Universum inzwischen hinreichend etabliert und
baut jetzt mehr und mehr auf das vertraute Terrain auf. Damit
erinnert das Peter-Grant-London an die Scheibenwelt, die Terry
Pratchett bald schon niemandem mehr erklären musste. Wie Pratchett
pflegt auch Aaronovitch zudem eine britische Ironie, mit der er
gegenwärtige politische und gesellschaftliche Katastrophen zynisch
kritisiert.
In dieses Universum bettet Aaronovitch auch
seine Nebenreihen ein, die Novellen, von denen die zweite, „Der
Oktobermann“, im Herbst erscheint, sowie die Graphic Novels, von
denen in England bereits acht erschienen sind und auf Deutsch nach
„Autowahn“ nun auch „Die Nachthexe“ erhältlich ist.
Gefährlich an dieser verzögerten Veröffentlichungspolitik ist,
dass der Leser Anspielungen in der „Glocke“ womöglich nicht
versteht, die sich auf Geschehnisse aus den Comics beziehen. Das Auto
aus dem ersten Band etwa findet eine Erwähnung; das immerhin
versteht man.
Der Zeichenstil von Andrew Cartmel und Lee
Sullivan lehnt sich dezent an den Realismus von US-Superheldencomics
an und trifft nicht so ganz die Vorstellungen sämtlicher Leser. Das
übliche Problem von Visualisierungen eben. Da aber Aaronovitch auch
der Autor der Comics ist, findet alles in seinem Geiste statt und der
Betrachter arrangiert sich damit. Die Geschichte in der „Nachthexe“
ist dabei aber reichlich schwierig nachvollziehbar: Dinge geschehen,
die sich im Verlaufe selbst in Frage stellen oder negieren. Dem zu
folgen ist keine leichte Aufgabe. In Summe ist das Experiment aber
geglückt, der Reihe grafisch einen Seitenarm hinzuzufügen. In
Aaronovitchs Kopf muss mächtig was los sein, dass er Grants
Universum so viele Geschichten hinzufügen kann. Glück für die
Verlage: Die Graphic Novels kosten auf Deutsch vier Euro mehr als die
Originale als Import.