Von Matthias Bosenick (21.02.2023)
Was man halt so macht, wenn man epidemisch bedingt dazu gezwungen ist, sich musikalisch anderweitig zu betätigen als gewohnt: Man isoliert sich zu dritt in Groningen im Studio und imaginiert sich in historisch von Asche verschüttete Städte. Auf diese Weise generiert das AVA Trio auf der EP „Ash“ zwei überlange Tracks, improvisiert, assoziiert, ursprünglich, vielmehr eine abstrakte Variante dessen, was man sich so unter Weltmusik vorstellt, als freier Jazz, und obschon chillig, doch zu aufgekratzt, um als Entspannungsmusik durchzugehen. So also klingen „Knossos“ und „Pompeii“ unter einer Staubschicht!
Auf dieser „archäomusikalischen“ Forschungsreise, wie es das Trio selbst nennt, offenbaren die beiden verschütteten Städte komplett unterschiedliche akustische Erscheinungsbilder: „Pompeii“ basiert auf einem Rhythmus, „Knossos“ stellt sich als Soundcollage dar, als Hörbuch ohne Texte. Wo sich „Pompeii“ noch gegen die vulkanische Gewalt stemmt und pulsierend aufbegehrt, ächzt, stöhnt, jammert und wehklagt „Knossos“ still unter der Last der Schüttgüter.
Perkussiv geht die Reise los, bis es zu tröten beginnt: Zimbeln und mit Fell bespannte Holzringe kommen zum Einsatz, dazu wimmern Mundstücke von Baritonsaxophon oder Mizmar, einem arabischen Fagott; die Töne könnten orientalisch inspiriert sein, aber auch bei den Aborigines abgehorcht. Der Rhythmus ist zwar schnell, aber so dezent angeschlagen, dass sich dabei vielmehr ein wandlungsfähiger Soundteppich ergibt als ein harter Beat. Die drei Musiker steigern sich alsbald mit der erschütternd gemächlich pulsierenden Eruption des Vesuvs in den Track hinein, die Anschläge werden härter, die Trötentöne fordernder, weitere Percussionelemente kommen hinzu, die Kulisse ebbt ab und schwillt an, ein Alarmsignal mischt sich in das Geschehen und rüttelt die panisch durcheinanderredende Bevölkerung auf. Es ist, als bäume sich die Stadt gegen ihr Schicksal auf, doch wir wissen ja, was 79 n. Chr. passierte, nach einer Reihe von Erdbeben, die das Inferno ankündigten. Heute spielen da Pink Floyd, so war das nicht gemeint!
Knapp 1600 Jahre früher bereits brach auf der Insel Santorin ein Vulkan aus, das Ereignis heißt heute Monoische Eruption und zerstörte damals möglicherweise auch die Stadt Knossos auf der Insel Kreta. Erdbeben gab es in der Region ohnehin schon immer, ein Tsunami türmte sich auch mal über der Insel auf, und was letztlich den Trümmerhaufen verursachte, der heute die Relikte der antiken Stätten zu Touristenattraktionen macht, ist unerheblich – das AVA Trio lässt die Paläste zusammensacken und die Bevölkerung verzweifeln. „Knossos“ explodiert nicht, sondern es zerbröselt musikalisch, es bleibt kein Stein auf dem anderen, Staubpartikel flirren umher, der Schock sitzt tief, nichts Organisches regt sich mehr, es verbleiben nur noch Fragmente einer einst üppigen Zivilisation, die nun nur noch wehklagend ihre Wunden leckt. Dieser Gang durch die frischen Ruinen ist keine Musik im herkömmlichen Sinne, sondern bildet eher eine Soundkulisse zur Postapokalypse.
Beteiligt an diesem pandemischen Exkurs sind Guiseppe Doronzo mit den Fragmenten der Blasinstrumente und Percussions, Kuhn-Fu-Bassist Esat Ekincioğlu, der ebenfalls Percussions sowie Feedbacks beisteuert, und Pino Basile mit Frame Drums, Cucaphon und Stimme. „Ash“ ist das Ergebnis einer spontanen Zusammenkunft des Trios in Groningen und mehr als ein musikarchäologisches Forschungsobjekt.