Von Matthias Bosenick (29.09.2023)
Was macht man in der Hitze für Musik an? Chillige, trippige, dubbige am besten. Also „Heat“ von Automat, der Indie-Supergruppe minus Jochen Färber, der nicht mehr mitspielt. Dafür gibt’s einen Stapel anderer Gäste, die in Wort und Ton das Ihrige zu dieser organisch-elektronischen Reggae-Dub-Downbeat-Kopfnick-Chillplatte beitragen. Bassist Zeitblom, Schlagzeuger Achim Färber und Keyboarder Max Loderbauer fläzen sich am Jamaikanischen Strand, den sie eigens in einem Berliner Club aufhäuften, und knabbern an einem Toast aus London. Hier haben sogar die bunten Getränke ein Echo. Und die Musik ist so warm wie der Titel des Albums, das es physisch überdies ausschließlich als Doppel-LP gibt.
Man kann sich sowas von verlieren in dieser Platte, man taucht ab, man verlässt die Realität, die Gegenwart, die Ahnung des sich anbahnenden Herbstes, man schaltet den ewigen Sommer ein, einen, der wärmt, dessen Hitze keine Last ist, man ist umringt von freundlichen Menschen, die sich allesamt allerhöchstens gemessenen Schrittes bewegen, vielleicht, um sich ein erfrischendes Getränk zu holen, und ansonsten entspannt herumliegen, in der Hängematte schaukeln, auf den Strandmöbeln fläzen, den Strohhalm in die Kokosnuss stecken, mit dem Fuß wippen, ganz wie man selbst, über einem Möwen vor Abenddämmerhimmel, unter einem Sand, vor einem das Meer, neben einem warmherzige Leute, in der Seele Frieden, im Körper diese Musik.
Die drei Hauptmusiker gehen behutsam vor im Erstellen dieses Albums. Selbst voll instrumentierte Tracks sind sanft, aber nicht kraftlos. Voll instrumentiert sind nicht einmal alle Tracks, trotz Schlagzeugers in der Band etwa gibt es Stücke ohne festen Beat. Dafür findet ein Klavier Einzug in den Sound, ergänzend zu den Synthies und dem lebendigen Bass. Hier und da streuet das Trio Elemente ein, die aus den angerissenen Genres vertraut sind, aus Reggae und Dub, Snarekantenschläge, Offbeat-Synths, melodische Chants, spaciges Blubbern; aber nicht nur, andere Tracks kommen ohne diese Anleihen aus, bleiben im Tempo reduziert chillig tanzbar oder sind sogar in einem Pop verankert, der in den Achtzigern kein Anachronismus gewesen wäre. „Drift“ etwa hat die Kraft, vor lauter Schönheit Tränen in die Augen zu treiben.
Die Vielseitigkeit von „Heat“ unterstreichen auch die Gäste: Singend sind Singer-Songwriterin Gemma Ray und die in Berlin arbeitende argentinische Sängerin Barbie Williams dabei, toastend die jamaikanischen Dub-Größen R.Zee Jackson und Prince Alla. Weitere Gäste sind Violinistin Miako Klein, Kupfer-Kopf Stefan Weyerer und Electro-Musiker Scott Montieth alias Deadbeat. Bedauerlich ist, dass Neubauten-Gitarrist Jochen Arbeit seine selbige bei Automat ruhen lässt, am Vorgänger „Modul“ aus dem Jahr 2020 war er noch beteiligt. Der umtriebige Electro-Experte Max Loderbauer stieg 2016 zum dritten Album „Ostwest“ mit ein und füllt nun allein die Lücken, die die abwesende Gitarre lässt. Von Anfang an, also seit zehn Jahren, Automatenteile sind Sovetskoe-Foto-Bassist Georg S. Huber alias Zeitblom und Indie-Hans-Dampf-in-allen-Gassen Achim Färber am Schlagzeug.
Das Doppel-Vinyl hat die Kraft, einen sanft und warm durch den Winter zu begleiten. Wie gut, dass die Bandgründung damals kein launiges One-Off war: So darf es gern weitergehen.