Von Matthias Bosenick (11.04.2024)
Keine Komödie, auch wenn Josef Hader draufsteht – dieser Hinweis ist mehr als angebracht, wenn man sich „Andrea lässt sich scheiden“ anguckt, weil man ansonsten entweder denkt, die Gags seien Scheiße, oder einfach überhaupt enttäuscht feststellt, dass der Film nicht witzig ist, denn das soll er auch gar nicht sein. Lässt man sich darauf ein, haut das trockenöde Provinzdrama mächtig rein. Dabei ist der Titel etwas irreführend, denn noch vor der Scheidung fährt die Titelfrau ihren Noch-Gatten tot, und damit beginnt das Drama, in dem der Regisseur selbst eine Figur spielt, die der irrigen Annahme ist, den Mann getötet zu haben. Österreichkenntnisse sind für den vollen Genuss vonnöten.
Es befremdet zunächst ein Wenig: Man erwartet eine Polizei-Provinzposse aus dem Blick des Großstädters, der mit geschliffenen und pointierten Dialogen das Absurde aus der in der digitalen Zeit im Gestern verhafteten Dorfbevölkerung herausarbeitet und überdreht, quasi eine Art modernes „Karniggels“ aus Niederösterreich. Doch das Gegenteil ist der Fall: „Andrea lässt sich scheiden“ ist beinahe nackt, heruntergestrippt auf das Nötigste, in Bild und Dialog, und rückt damit die ländliche Ödnis ohne Humor ganz weit nach vorn ins Sichtfeld. Alles ist Pastell, die jungen Erwachsenen tragen Hellblau und Beige, wenn nicht kleinkariertes Hemd, und sind eingesperrt zwischen Wirtshaus, Elternpflege, Familiengründung und Arbeit. Darüber macht Hader sich nicht lustig, er zeigt es nur schonungslos und lässt sein Drama darin stattfinden.
Möglicherweise trifft der Eindruck von fehlgezündetem Humor auf die Eingangssequenz noch zu: Zwei Polizeibeamte stehen an einer unbefahrenen Landstraße, warten auf Raser und sprechen über runde Geburtstagsfeiern und deren Kosten. Ein Trecker rollt behäbig vorbei. Das ist so nah an der Realität, dass es als Witz nicht funktioniert; da steckt kein Quentin Tarantino drin und auch kein Detlev Buck. Das ist bereits das Drama, und so bleibt es auch den ganzen Film über. Der erste und einzige Raser ist der Noch-Gatte von Polizistin Andrea, die sich nicht auf eine milde Sonderbehandlung einlässt. Später kreuzt er auch im Wirtshaus auf der 30. Geburtstagsfeier von Andreas Kollegen auf, bei der sie sich gepflegt langweilt und tumben Annäherungsversuchen erwehren muss, nachdem sie den volltrunkenen Gatten dazu zwang, zu Fuß nach Hause zu gehen. Auf dem Heimweg brettert Andrea den Typen versehentlich über und begeht Fahrerflucht – das Drama im Drama beginnt hier. Noch in der Nacht wird sie von Kollegen aus dem Haus geklingelt, weil ein als trockener Alkoholiker bekannter Lehrer über die Leiche gefahren ist und nun als der Todesverursacher gilt. Wie nun also geht Andrea mit der Sache um?
Sie versucht, dem Religionslehrer einen Anwalt zu besorgen, und verzweifelt an dessen gottergebener Demut. Sie lässt ihr Auto von einem alten Schulbekannten von den Unfallschäden befreien. Sie organisiert sich eine Versetzung ins nahe St. Pölten. Sie hat sich mit Geschwistern um ihren klapprigen Vater zu kümmern, bei dem sie nach der Trennung wohnt und der nach einem Sturz ins Krankenhaus kommt. Sie lässt sich – unklar, ob amourös oder platonisch – auf einen Kollegen in St. Pölten ein, der nach Obduktion und weiteren Ermittlungen hinter Andreas Tat kam. Sie kreuzt den Weg des Lehrers, der längst seine Koffer für das Gefängnis gepackt hat und täglich auf die Inhaftierung wartet, absichtlich immer wieder, darunter in einer Schlagerdisco. Sie besucht ihre trauernde Schwiegermutter. Sie macht routiniert ihren tristen Alltagsjob. Sie stellt sich der Situation, die sie generierte, nämlich als Witwe unter den Dorfbewohnern zu leben, die ihr schlechtes Gewissen als Trauer fehlinterpretieren. Da bekommt der Film tatsächlich einige Längen, aber das passt ja zum Sujet.
Bis es zu einer Situation kommt, in der der Lehrer abermals betrunken in den Graben rollt und Andrea, die neben dem Auto herlief, den eintreffenden Kollegen weismachen will, sie habe es gefahren. Denn der Lehrer nimmt diese Offerte nicht an und die Schuld auf sich. Da steht sie nun mit ihrem Gewissen – und der Film gelangt an seinen allerbesten Moment, als man gerade glaubt, es mit einem langweiligen Stück Kino zu tun zu haben. Hier richtet sich alles zu voller Größe auf und kann hernach befreit weiterrollen.
Merkwürdig ist nur, dass so ziemlich alles ohne Konsequenz bleibt. Jedenfalls erfährt man nichts davon, wie es juristisch mit Andrea weitergeht; sie scheint einfach ihren neuen Job in St. Pölten anzutreten und bekommt dafür auch noch das Auto des Lehrers im Tausch gegen eine Moka, also quasi geschenkt. Und dieser Lehrer: Der müsste doch stinksauer auf sie sein, schließlich ruinierte sie ja sein Leben, indem sie ihn selbst und den Rest der Welt glauben ließ, er habe einen Menschen getötet, was dazu führt, dass er in den Alkoholismus zurückfällt und sogar seinen Job und noch mehr Ansehen verliert. An dem Punkt gerät der Film zu einem Märchen, und genau das nimmt man auch aus dem Kino mit, dass es trotz allem auch mal gut gehen kann. Wobei, hey: Es geht ja um Leben und Tod!
Hader inszeniert seinen zweiten Film staubtrocken, die Menschen und die Siedlungen sind monochrom und gleichförmig, manche Häuserseiten haben gar keine Fenster, die Landschaft ist wellig und leer, man hört indes idyllisch Vögel und Insekten, im Dorfkern prangt eine nachts beleuchtete überdimensionale Knoblauchzehe inmitten des Kreisverkehrs, Dialoge sind aufs Nötigste reduziert, so viel Buck gibt’s dann doch, und in Mundart gehalten, da wünscht man sich bisweilen Untertitel, kann aber dennoch gut folgen. In nur ganz wenigen Momenten gibt es wirklich etwas zu lachen, dezidiert sind Äußerungen absurd, insbesondere die des Lehrers, doch ist „Andrea lässt sich scheiden“ weit weg davon, eine Komödie zu sein. Und das ist auch gut so. Hader will Schauspieler und Regisseur sein, Künstler mithin, also etwas anderes als der Kabarettist, als der er gefeiert ist, zu Recht. „Andrea lässt sich scheiden“ mit der grandios phlegmatischen Birgit Minichmayr in der Titelrolle ist Kunst – und ist wesentlich besser als Haders Regiedebüt „Wilde Maus“. Und er empfiehlt Opas Diandl aus Südtirol, Italien, als auch jenseits der Alpen zu entdeckende Band: „Muaters Stübele“ im Abspann ist ein Knaller!