Von Matthias
Bosenick (02.01.2020)
Drei Jahre nach „Kodama” klingt
das Nachfolgealbum nicht nach seinem Titel, „Spiritual Instinct“:
Alcest kehren dem melodiösen Pop-Postrock häppchenweise den Rücken
und wenden sich wieder dem Metal zu. Die Genrebezeichnungen Blackgaze
oder gar Black Metal mag keiner der beiden Franzosen, doch sind sie
nicht ganz von der Hand zu weisen. Ein paar Pfund mehr auf den Rippen
stehen dem Sound jedenfalls gut. Spannend sind überdies die drei
Bonus-Tracks der Vinyl-Buch-Version: Da hält plötzlich industrielle
Elektronik Einzug.
Das Sanfte ist seit jeher, also seit ungefähr 15 Jahren, elementar
bei Alcest, da steuern auch die sämtlichen Eigenschaften des Metal
nicht gegen, so sie denn zum Einsatz kommen. Das heißt also auch für
„Spiritual Instrinct“, dass sich die Alcest-Musiker Neige und
Winterhalter in Wohlklang und Harmonie austoben, obwohl sie die
elektrischen Gitarren wieder verzerrter anschlagen. Damit gelingt
ihnen eine überzeugende Kombination aus den jüngeren, recht
gefälligen epischen Postrock-Sounds und den härteren Riffs.
Von
Black Metal indes soll bei Alcest nach wie vor keine Rede sein, heißt
es, und dem sei zugestimmt, auch wenn Neige gelegentlich schreit oder
das Schlagzeug mal etwas beherzter davonprischt. In diesem Zuge
verwehren sich Alcest auch gegen die neumodische Schublade Blackgaze,
und auch da mag man nicken, wenn auch mit dem Haupte wiegend, denn
einerseits ist die Grundstimmung auch auf „Spiritual Instinct“
tatsächlich um einen Hauch zu positiv, um Black zu sein,
andererseits lassen sich die Tracklängen zwischen fünf und neun
Minuten recht gut mit gazigen Strukturen füllen, und Alcest
verstehen sich genau darauf.
Seit „Shelter“ hat man
indes mit neuen Alcest-Alben zunächst das Problem, dass die Songs
nur schwer ins Ohr gehen und sich mit ihrer vordergründigen
Gefälligkeit auch noch dagegen sperren, sofort gemocht zu werden.
Erst nach mehrmaligem Hören, oftmals auch erst Jahre später,
begreift man aber, dass die Alben sehr gut sind und man sie richtig
gern hört. Auf „Spiritual Instinct“ sorgen nun die Metal-Riffs
für angenehme Widerhaken, die das Hängenbleiben erleichtern. So
richtig das fette ausufernde Breitbandbrett wie zu Frühzeiten des
Projektes fährt indes auch dieses Album nicht auf, aber wozu auch,
das gibt es ja bereits.
Was es bis dato noch nicht gab,
sind elektronisch unterfütterte Remixe von Alcest, und mit der
limitierten Deluxe-Version gibt es derer gleich zwei. Den ersten
übernahm Petrubator alias James Kent, Sohn zweier Rockkritiker, den
zweiten Ben Chisholm, der unter dem Alias Wild Eyes bereits mit
Chelsea Wolfe musizierte. Beide Remixer übertragen die Flächigkeit
des Alcest-Sounds in komplemetäre Industrial-Strukturen; ein ganzes
Album in diesem Gewand wäre von großem Interesse. Zuletzt
fabrizieren Stéphane Paut und Jan Deflandre, wie Neige und
Winterhalter wirklich heißen, eine Akustik-Instrumental-Version
eines Albumtracks, der im Original deutlich kürzer ist und auch in
dieser Variante begeistert; die Bezeichnung führt derweil etwas in
die Irre, man bekommt hier nämlich keine Unplugged-Version à la
MTV, die Kraft des Songs geht auch akustisch gespielt nicht
verloren.
Wer Neiges und Winterhalters Musik mag und über
den Alcest-Tellerrand blickt, wird mit einem großen Output für so
junge Musiker konfrontiert: Amesoeurs, Lantlôs und Mortifera gehören
dazu, aber auch in jeder Hinsicht dunkle Kapitel. Neige und
Winterhalter wirkten nämlich an den ersten musikalischen
Gehversuchen von Peste Noire mit, einer NSBM-Band, also dem rechten
Black Metal zugeordnet. Neige betont zwar, dass er inhaltlich nichts
mit der Ausrichtung der Peste am Hut habe, arbeitet aber – wie
Winterhalter – immer wieder mit den entsprechenden Musikern
zusammen, etwa als Valfunde für eine Split-EP mit Amesoeurs. Sei es
geglaubt, dass Neige und Winterhalter keine Nazis sind; Spiritualität
an sich zumindest ist kein originär rechtes Thema, und Spiritualität
– ohne Religionszugehörigkeit – ist das Hauptthema bei
Alcest.
Diese limitierte Deluxe-Version von „Spiritual
Instinct“ nun ist als Buch gestaltet, dem das Album als CD und als
Doppel-LP in Steingrau beiliegt, und dazu als Bonus wie erwähnt die
CD mit den drei Extra-Tracks. Schick!