Von Matthias Bosenick (08.01.2019)
Überraschend unscheiße, die elfte (und erneut finale) Staffel von Akte X. Zwar merkt man den Hauptdarstellern an, dass sie nicht mehr so richtig Bock haben, erneut Scully und Mulder zu spielen, und zwar verbiegen die Autoren die Serienrealität zugunsten neuer unvorhergesehener Wendungen, und zwar überwiegt hier die Action über der Charaktertiefe, aber sind die Episoden überwiegend fesselnd und weitestgehend frei von Albernheiten erzählt. Inklusive der Metabegründung, warum die Serie heute nicht mehr funktioniert, weshalb man hoffen sollte, dass sie jetzt endgültig ad acta gelegt wird. „The Lone Gunmen“ auf DVD wäre jetzt noch ein schöner Nachklapp.
Die erste Episode muss man mehr oder weniger überstehen, dann läuft die Staffel. Zunächst räumen die Autoren nämlich mit der Serienvergangenheit auf und holen die Guckenden da ab, wo sie sie haben wollen. Der Krebskandidat lebt immer noch und spielt im Zusammenhang mit der Elternschaft von Scully und Mulder eine nicht unwesentliche Rolle, Langley von den Einsamen Schützen lebt als angsterfüllter Avatar weiter, einstige FBI-Verbündete wechseln die Seiten und das FBI als Arbeitgeber tritt ohnehin reichlich in den Hintergrund. Hat man dieses gequirlte Chaos erstmal überstanden, kann man es sich im 2018er-Universum der X-Akten behaglich einrichten.
Zehn Episoden lang jagend Scully und Mulder alternierend ihren eigenen und den Geistern anderer hinterher, und da zeugt es von Geschick, wie diese beiden Ebenen sich in einem Falle überschneiden. Als sich nämlich zwei Mädchen aufgrund eines Internetphänomens und von Horrorvisionen gegenseitig aufschlitzen, erscheint der Fall zunächst wie ein typisches „Monster der Woche“-Phänomen, bis sich herausstellt, dass es sich bei diesem Monster um den verschollenen Sohn von Scully und Mulder handelt – und die Suche nach diesem ist der Überbau dieser Staffel, denn verschiedene Instanzen haben ein Interesse an William.
Zwischendurch tauchen aber immer wieder auch normale Unnormalitäten auf. Bei der Klärung dieser Fälle gehen Scully und Mulder latent unwilliger vor als gewohnt: Sie scheinen gnatzig zu sein und hauen eher drauf, als dass sie subtil um Klärung bemüht sind. Menschenleben sind nichts wert, ein verängstigter totgeglaubter Langley nervt nur, und die Ermittlungsarbeit ist hier durch rasante Verfolgungsjagden mit überteuren Autos ersetzt. Natürlich grinst man sich eins, wenn man die gealterten Agenten am Rande ihrer körperlichen Fähigkeiten um ihr Leben agieren agieren sieht. Wenn die beiden dann aber beginnen, ihr Innenleben auszuschwafeln, verkürzt das nur die Storyzeit und fügt den Figuren aufgrund der Inhaltsarmut nichts hinzu, das nicht in den ersten sieben Staffeln bereits ausdiskutiert war. Zudem wechseln Scully und Mulder je nach Drehbuch ihre Grundhaltung und fechten überflüssige Diskussionen aus.
Am gelungensten indes ist der Kniff, mit dem die Autoren den Zuschauern klarmachen, warum „Akte X“ heute nicht mehr funktioniert: Der Krebskandidat sagt, dass in Zeiten von Fake News und Alternative Facts niemand mehr an so etwas wie Mulders „Wahrheit“ interessiert sei und die Verschwörer beinahe offen tun und lassen könnten, was sie wollten, ohne auch nur den Hauch eines Skandals oder Aufruhrs zu erzeugen. Nicht nur deshalb wandern die Themen dieser Staffel wohl so stark ins Private.
Auch gut ist, dass die Autoren die in Staffel 10 neu eingeführten gesichtslosen Ersatz-Helden Einstein und Dings hier nicht weiter stattfinden lassen. Das unterstreicht, dass die Macher die Staffel doch ernstnehmen – trotz der üblichen Humor-Episode, die hier gleichzeitig spannend wie komisch ist. Etwas aus dem Rahmen fällt die Episode, in denen Scully und Mulder von der modernen Technik attackiert werden: Das Szenario ist bedrohlich und relevant als Aufklärung für die Massen, aber die Umsetzung aufgrund fehlender Story nicht sonderlich spannend.
Jetzt ist aber auch gut mit „Akte X“. Oder? Zugegeben, man hat die Figuren liebgewonnen, aber es ist auch alles – so war es auch in den ersten neu Staffeln schon – mindestens einmal dagewesen. Zum Ausgleich kann man sich ja einmal durch die Discographie der Ramones hören.