Von Matthias Bosenick (04.07.2014)
Dirk Ivens bemüht sich redlich, den Fans vergriffene Besonderheiten aus dem internationalen EBM-Geschehen auf seinem Label Minmal Maximal auf Vinyl zugänglich zu machen. Nicht nur eigene Arbeiten mit Absolute Body Control, sondern auch Werke von Kollegen wie A Split-Second, Parade Ground, Front 242 oder The Neon Judgement bringt er so unter die Leute. Jüngste Veröffentlichung ist „The Valence Of Noise“, eine Raritätensammlung von Numb. Die acht Stücke decken den Zeitraum von 1991 bis 2000 ab und spiegeln damit auch die atmosphärische und musikalische Bandbreite der leider aufgelösten kanadischen EBM-Krawallos um Don Gordon wider.
Zu der Zeit war EBM noch anders als heute. Es ging auf die Zwölf, aber nicht so plakativ. Die brachialen Stücke waren kompositorisch besser ausgearbeitet und detailreicher arrangiert. Zudem unterbrachen unberechenbare krasse und verstörende Sounds immerzu eine sich womöglich anbahnende Wohlfühlstimmung. Damit forderten sie den Hörer, der sich mit der Zeit daraus eine neue Definition von Wohlfühlstimmung erarbeitete, und ließen ihn dazu auch noch tanzen. Kanadischer EBM war immer noch ein Stück kompromissloser als europäischer, siehe Skinny Puppy und Front Line Assembly. Und eben auch Numb.
Deren größter Hit, der auch heute noch die Experten auf die Tanzfläche lockt, hieß „Shithammer“. Dessen „Dread And Bled Mix“ eröffnet die Compilation. Original erschien der Mix 1994 auf dem „Moonraker“-Sampler. So recht überzeugen mag er nicht: Er zieht das Tempo an, glättet die Kanten und nimmt dem schleppenden Original damit alle Alleinstellungsmerkmale. „Eugene“ im „Pickage Mix“ von Pig & Andrew Burton, 1991 auf dem „Funky Alternatives Vol. 6“-Sampler erschienen, klingt wie von einem schlechten 96-kbps-mp3-File gerippt. Unhörbar! Und das liegt nicht an Numb. Interessant ist dann „Won’t You Be My Neighbor (Theme From Mr. Roger’s Neighborhood)“, die 1997 auf „TV Terror: Felching A Dead Horse“ erschienene Coverversion einer Kinderserientitelmusik, die wie ein Industrial-Kurzhörspiel klingt. „Blood“ im „Crash & Burn Edit“ (von „Electropolis Vol. 1“, 1998) legt dann endlich das vor, was man an Numb mag: brutal langsame Beats, gepresst-geschrienen Gesang, abgehackte Synthie-Effekte wie aus einem Horror-Film und darunter eine erschreckend schöne Melodie. „Half-Life“ schlägt in dieselbe Kerbe. Der „Hyper-Dilated Mix“ von „Blind“ (von „Electronic Lust, Vol. 1“, 1998) erhöht wieder das Tempo auf Techno-Niveau, belässt aber die harschen Sounds und nimmt damit viel von dem vorweg, was in jüngster Zeit als „Hellectro“ in die Clubs schwappte, nur nicht so plakativ und langweilig. Die letzten beiden Stücke, „Suspiria“ (die 1999er Coverversion des Titelsongs eines gleichnamigen Horrorfilms von 1977) und „Statik“, stammen aus der Zeit zwischen dem letzten Album und der Auflösung der Band. Sie bedienen sich beim Ambient, den sie aber maschinell anreichern und damit eine Art Industrial-Goa produzieren. Besonders bei letzterem kann man sich amtlich in einem Veitstanz-Rausch hineinsteigern.
Für Numb-Fans ist dies natürlich ein Fest, endlich wieder Musik von den Jungs zu hören. Aber natürlich ist die Sammlung nicht vollständig, es fehlen diverse andere Samplerbeiträge, da könnte Dirk Ivens eine Dreifach-LP draus machen. Übrigens liegt dieser auf 500 Stück limitierten Ausgabe eine CD bei, anders als noch bei der ebenfalls limitierten Live-LP „Transmission SE91“ von Front 242 – da vermisst man diesen Bonus.