Von Onkel Rosebud
Gleich vorab entschuldige ich mich für diese Überschrift. Was als Lob gemeint ist, Herr Schramm wäre damit nicht einverstanden. Weil John Peel eine Legende ist, an die er aus geopolitischen Gründen nicht heranreichen konnte, und weil in der Bezeichnung, „Irgendwas des Ostens“ gewesen zu sein, vielleicht auch eine Form der Verzwergung mitschwingt. Doch (denn das beste deutsche Wort ist für den Radio-DJ bestens genug), Lutz Schramm war der John Peel des Ostens, und ein größeres Kompliment fällt mir für den Menschen nicht ein, der uns auf den richtigen musikalischen Weg gebracht hat.
Herr Schramm hat mit seiner Radiosendung „Parocktikum“ auf DT64 (später auch Rockradio B) von März 1986 bis Februar 1993 eine Generation von alternativen Musikhörern sozialisiert, die sich die Gelegenheit, sich über unangepasste Musik aus der DDR und dem Rest der Welt zu informieren, nicht entgehen ließen. Deshalb ist er bis heute unser John Peel. Er hat uns gerettet vor den Puhdys und den Karats und dem ganzen anderen uncoolen, schleimigen Einheitsbrei institutionalisierter Ostrock-Singegruppen.
Mit meinen beiden besten Kumpels habe ich für das hiesige Bürgerradio, Coloradio, im Rahmen des Formates schlagseite eine zweistellige Anzahl an Sendungen über Konzertgehen und Schallplatten, die unsere Leben veränderten, aufgenommen, die es auch als Podcast gibt. Bei den Aufnahmen sind wir sehr oft bei unseren gemeinsamen Ursprüngen in Sachen Abgrenzung zum musikalischen Mainstream gelandet, so dass der Running Gag eines Phrasenschweins entstand, wenn Schlagwörter wie „Parocktikum“, „Lutz Schramm“ oder „die anderen Bands“ gefallen sind.
Bahnbrechend in diesem Zusammenhang ist der erste Vinylsampler zur Szene „Parocktikum, Untertitel: die anderen Bands“ veröffentlicht im Mai 1989. Die steht natürlich in meinem Plattenschrank, fein säuberlich und doppelt eingepackt mit Schutzfolie, damit kein Körnchen Staub an die Rillen kommt. Mit der Kategorie „die anderen Bands“ wurde ab 1988 – vom Zentralrat der FDJ legitimiert – versucht, bereits formierte und ständig neu entstehende Teile der Rock-Szene der DDR zu beschreiben, die sich auf Punk und New Wave beriefen und deren Wurzeln in einer teilweise oppositionellen Jugendsubkultur lagen. Der Name geht auf die punkige Berliner Ska-Pop-Band „die anderen“ zurück.
Die Verwendung dieses Terminus’ bezogen auf die Binnen-Rockszene der DDR ist sowohl positiv wie negativ konnotiert. Musikalisch bedeutete „anders“ sowohl anders als der seichte Ostrock der 70er Jahre, als auch anders als die sprachlich und stilistisch zwar authentischeren, aber dennoch schon wieder etablierten und damit opportunismusverdächtigen Bands der 80er wie Silly oder Pankow. Wer sich fortan als Fan von „anderen Bands“ bezeichnete, lebte unbewusst sowohl die abgrenzende als auch die integrierende Funktion des Begriffes aus. Oder „anders“ formuliert: Als so bekennender Hörer von DDR-Musik war man plötzlich nicht mehr automatisch uncool.
Auf dem Sampler befinden sich insgesamt 12 Musikstücke von unter anderem Bands wie Feeling B, Die Vision, Sandow und AG Geige, von denen in den nächsten Folgen der Kolumnenserie noch die Rede sein wird. Und von Die Vision.
Onkel Rosebud
