Warren Zevon – Epilogue: Live At The Edmonton Folk Music Festival – Omnivore Recordings 2025

Von Guido Dörheide (05.12.2025)

O’Scheiße – was jetzt hier zuerst schreiben? Dass es sich bei dieser Aufnahme um Zevons letztes Konzert vor über 20 Jahren auf dem wichtigsten kanadischen Musikfestival handelt, dass ich mir das T-Shirt mit dem Aufdruck „Send Lawyers, Guns & Money“ gleich unbesehen bestellen wollte, oder, dass ich gleichzeitig zutiefst berührt und vor den Kopf gehauen bin, dass ich – was ich nie gedacht hätte – ein neues Album eines der größten Künstler des 20. Jahrhunderts, der seit über 20 Jahren tot ist, rezensieren darf?

Wie immer fange ich von vorne an. Von ganz vorne. Damals, seinerzeit, also zu der Zeit in den 80ern, als ich ein kleiner Junge war und mir die Welt der Rockmusik erschloss, die mir später so oft das Leben und die geistige Gesundheit retten sollte, war die Jugendzeitschrift „BRAVO“ die Quelle meiner musikalischen Grundausbildung. Und – hell yeah, fuck yeah – die Musikredaktion der BRAVO war damals ihren minderjährigen Lesern sowas von dermaßen voraus – da schrieben, glaube ich zumindest, begabte und euphorische Musikenthusiast:innen, die bei den ernstzunehmenden Musikmagazinen keine Anstellung zu ergattern in der Lage waren, und so gingen sie halt einfach bei und versuchten, den minderjährigenden BRAVO-Lesenden was zu lernen: „Radio K.A.O.S“ von Roger Waters, „Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me“ von The Cure (die damalige BRAVO-Rezension legte den Grundstein für meine lebenslange Thecureverehrung) oder eben „Sentimental Hygiene“ (1987) von Warren Zevon – alles keine typische Musik für 13Jährige. Drei bis vier Zeilen brauchten die BRAVO-Redaktoren, mehr nicht, um den Lesenden einen komplexen Überblick zu verschaffen, was sie auf dem besprochenen Album erwartete. Mangels Taschengeld habe ich mir die Alben damals nicht kaufen können, aber die Rezensionen blieben mir im Gedächtnis und halfen mir, meine Musiksammlung im höheren Alter von über 40 Jahren zu komplettieren.

2008 beschallten mich dann die unsäglichen Autoradiomusiksender:innen (das Beste aus den 80ern, den Neunzigern und der heiße Scheiß von heute – wobei die 80er immer – von mir unverstanden – „Das geilste Jahrzehnt aller Zeiten“ zu sein gehabt sein sollten, dran am Seien (hihi, Martin!)) dann monatelang mit „All Summer Long“ von Kid Rock. „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd habe ich auf Anhieb erkannt, und dass der zweite in dem meiner Erinnerung nach einzigem guten Kid-Rock-Titel verwurschtete Song „Werewolves Of London“ von Warren Zevon war, erfuhr ich erst Jahre später. Und fiel sofort in Liebe mit dem bekanntesten Song von Zevons 1978er Signature-Album. Das hammermäßig großartige „Lawyers, Guns & Money“ ist ebenfalls auf dem Album „Exitable Boy“ aus 1978 enthalten, ebenso wie das nach dem Album benannte Titelstück, das ebenfalls „Exitable Boy“ heißt (wie das ganze Album, nach dem das Titelstück benannt ist, also nach „Exitable Boy“), „Roland The Headless Thompson Gunner“ und „Accidently Like A Martyr“ (vor wenigen Jahren wunderbar gecovert von den bezaubernden The War On Drugs).

Mit „Lawyers, Guns & Money“ beginnt auch Zevons Edmonton-Folk-Music-Festival-Auftritt am 9. August 2002, der beinahe komplett akustisch gehalten ist und von Zevon an der akustischen Gitarre, der Mundharmonika und dem Klavier sowie Matt Cartsonis (der auch am Mastering und der Produktion des Albums maßgeblich beteiligt ist) an allen anderen Instrumenten (elektrische Gitarre, Hackbrett, Banjo und Violine) sowie am Hintergrundgesang bestritten wurde.

„Epilogue“ enthält fast nur Zevon-Eigenkompositionen, die einzigen beiden Ausnahmen bilden Joni Mitchells „A Case Of You“ (ein wunderschöner Song, der auch mit Kanada, dem Land des Austragungsortes des Auftritts des hier abgekündigten Künstlers, verknüpft ist) und das angelsächsische Traditional „Canadee-i-o“. À propos Kanada – mit „Hit Somebody! (The Hockey Song)“ ist hier ein Song vertreten, den Zevon weiland auf seinem vorletzten Album mit Backing Vocals von David Letterman aufnahm und der Kanadas Nationalsport Hockey (kanadisch für „Eishockey“) so auf den Punkt bringt wie sonst nur das Gesamtwerk der kanadischen NoMeansNo-Alter-Egos von den Hanson Brothers: But what’s a Canadian farm boy to do? HIT SOMEBODY!

„Epilogue“ lässt also dem typischen Warren-Zevon-Humor genügend Raum.

Was kann es noch?

Nun, zum einen enthält es großartige Hits wie die besagten Werewolves (Im Text besingt Zevon auch Werwölfe aus Edmonton, jahaa, die gibt es überall. A-huuuh, Werwölfe aus Gifhorn, wer kennt sie nicht?) und die Lawyers, „I Was In The House When The House Burned Down“ (markante Slogans konnte Zevon wie kaum ein Zweiter), „Detox Mansion“ (in dem Zevon einen gemeinsamen Entzugsklinikaufenthalt mit Liza Minelli imaginiert), „For My Next Trick I‘ll Need A Volunteer“ (brüllend komisch bis bitterböse, wieder einmal typisch WZ), „Poor Poor Pityful Me“ (einer seiner Standards, so dass es kaum ins Gewicht fällt, was hier alles fehlt, es ist auch zu viel verlangt, dass Zevon einen kompletten Best-of-Auftritt hätte bestreiten sollen, dieser hätte auf keinen handelsüblichen USB-Stick gepasst). Auf „Play It All Night Long“ zitiert Zevon dann das oben zitierte „Sweet Home Alabama“.

Zum Anderen zeigt „Epilogue“ einen unglaublichen Ausnahmekünstler kurz vor Ende seiner Karriere (und tragischerweise seines Lebens), dessen Stimme und Vortrag so dermaßen gut gealtert sind, dass man sich beim Zuhören wünscht, er hätte alles, was er je aufgenommen hat, im höheren Alter aufgenommen, so gut sind seine Stimme und sein Vortrag gealtert. Der späte Warren Zevon ist der beste und der mitreißendste Warren Zevon aller Zeiten gewesen und es wäre so schön, wenn er heute noch da wäre, um alle paar Jahre mal ein altersweises Album rauszuhauen, und das würde er sicher auch tun, wenn er denn bloß noch hier wäre. „Epilogue“ hilft uns, uns den great late Warren Zevon auf dem Höhepunkt seines Könnens nach seinen letzten Studio-Alben „Life’ll Kill Ya“ (2000) und „My Ride’s Here“ (2002) und zuletzt „The Ride“ (2003) – fürwahr programmatisch-prophetische Albentitel – zu vergegenwärtigen. Besser hat er nie gesungen, seine Gitarrenparts sitzen perfekt und die Stimmung ist gänsehauterzeugend wie eine vom bald zu Versterbenden selbst gehaltene Beerdigungsansprache.

Zahlreiche wichtige Songs wie „Roland“, „Hasten Down The Wind“ und „Keep Me In Your Hearts For A While“ (Okay, letzteres war damals wohl noch nicht fertig, einer der herzergreifendsten Vermächtnis-Songs aller Zeiten eines damals – 2003 – unheilbar kranken Musikers, der nicht wusste, ob er sein letztes Album noch vollenden würde. Die Ärzte sagten Nein, Zevon hat es trotzdem geschafft und ist kurz vor seinem Tod noch bei seinem größten Fan und gutem Freund David Letterman in dessen Late Night Show aufgetreten und hat – wenn ich mich richtig erinnere – dort auch „Keep Me In Your Hearts“ gespielt) fehlen auf diesem Album, was es aber apselut nicht schlechter macht – Zevon war ein Gigant, der es ebenso wie Harry Nilsson, Mama Cass und so viele andere, deren Musik man es nicht angehört hat, zeitlebens mit Drogen und Alkohol so dermaßen übertrieben hat, dass es ein Wunder und ein Geschenk für alle Musikliebenden ist, dass er den Club 27 links liegen lassen und bis zu seinem Tod mit nur 56 Jahren noch wundervolle Musik veröffentlichen konnte.

Höhepunkt des Albums ist das zehnte Stück: „Dirty Life And Times“, ein banjolastiges Stück über das Leben, Entscheidungen und den den Ich-Erzähler heimsuchende eigene Schatten. Veröffentlicht ein Jahr später auf „The Wind“, Zevons 2003er Vermächtnis. Hier hat er es noch selbst zu Lebzeiten vor Publikum aufgeführt, und das berührt.

„Epilogue“ ist mein persönliches Album des Jahres 2025 und ja, ich bin gleichermaßen erstaunt und begeistert, dass es mir vergönnt ist, eine aktuelle Veröffentlichung des großen Warren Zevon, dessen Werk ich erst Jahre nach seinem Tod für mich entdeckt habe, besprechen zu dürfen. Und das T-Shirt habe ich soeben bestellt.