Von Matthias Bosenick (15.10.2025)
Seinen 25. Geburtstag darf man gern mit goldenen CDs feiern! Mit einer Doppel-CD voller Lieder aus dem eigenen Programm – 31 Stück, also mehr als Jahre – begeht das inzwischen im Kreis Harburg ansässige Label von Bernd Paulat und Tom Redecker sein Jubiläum. Auch Checker werden hier Entdecker: Das zeichnet Sireena ja seit jeher aus, dass die Verantwortlichen noch unterhalb bekannter Schatztruhen weitere Schätze entdecken, von Bands aus der Bundesrepublik und der ganzen Welt, von denen man noch nie zuvor gehört hat, was sich mit dieser Sammlung ändern lässt, sowie von vertrauten Helden. Prog, Indie, Kraut, Wave, Country, NDW, Blues, Experiment – hier ist alles drin.
„Guten Morgen, es ist sechs Uhr und 36 Minuten“, sagt eine künstliche Frauenstimme. Islo Mob mit „Kaffee und Kuchen“ eröffnen die Sammlung mit – da geht’s schon los: Waverock? NDW? Artpop? Interzone knüpfen vom Sound her mit „Aus Liebe“ daran an, hardrocken aber ganz abrupt los. Moment: Islo Mob, Interzone? Von ersteren gab es lediglich ein Album und die aufgeführte Single, beides Mitte der Achtziger, und ohne Sireena hätte die Welt die vermutlich einfach nur vergessen. Inerzone waren eine Bluesrockband, die hier gelistete Single erschien 1982 zur Mitte der Karriere. Und so geht es weiter: der komplett eigensinnige Kiev Stingl, im vergangenen Jahr verstorben, mit seiner „Lila Diva“. Das allerhöchstens in Darkwave-Kreisen geläufige Projekt Heroina mit „Dancing Barefoot“, einer trippigen Variante des Patti-Smith-Songs. Aber gut: Hieran war, neben der gottlob deutlich heraushörbaren Kathrin Achinger von den Kastrierten Philosophen, Emilio Winschetti beteiligt, und der ist ja nun der Hidden Gentleman, der The Perc zur Seite steht, bei dem es sich eben um Labelgründer Tom Redecker handelt.
Alles also eine Electric Family, kann man sagen, und jene experimentelle Indie-Band war im Jahr 2000 auch der Grund, weshalb Redecker Sireena aus der Taufe hob. An der Reihe sind die hier allerdings erst auf der zweiten CD, mit „What Is In Your Head Fred“. The Perc Meets The Hidden Gentleman und deren „The Infant King“ folgen später auch noch. Doch zurück zum Portfolio: Funk-Rock gibt’s von Snowball, Bluesrock mit französischen weiblichen Spoken Words von der Pee Wee Bluesgang, wavigen Poprock mit Bläsern von den Dead Guitars. Das in Braunschweig bis heute stets beliebte punkige Proto-NDW-Stück „Mach dich lieber anders tot“ der Lokalhelden Fee kehrt musikalisch zum Auftakt zurück. Mit der Real Ax Band und etwas angeschrägtem Gesang geht’s in frickelige Prog-Gefilde; deren „Someone Else In My Skin“ ist mit fast neun Minuten das zweitlängste Stück hier, lediglich um eine Minute übertroffen von „Point Of No Return“ von den ebenfalls proggigen Nautilus.
Mit dem dramatischen schlageresken „Träume Leben“ eifert Minnie Graw von Ougenweide leicht Alexanrda nach, nur dass ihre Stimme nicht ganz so tief reicht. Die Engländer Snafu (nicht zu verwechseln mit SNFU) bluesrockten bereits in den Siebzigern, sind aber mittlerweile „Long Gone“. Anders als die Artrocker Ramses, die es seit den Siebzigern durchgehend gibt und die hier ebenfalls mit einem Livetrack vertreten sind. Zehn Jahre weniger dabei, aber ebenfalls mit Artrock, indes weit spacigerem, sind Tribute, die Band, die auf fast jedem Tourplakat aufgeführt ist, haha. Grobschnitt sind ja nun wirklich alte Helden, im Krautrock wie im NDW, doch stammt deren Akustikgitarren-Hymne „Another Journey“ aus dem Jahre 2009, ist also vergleichsweise frisch. Tri Atma liefern ein fluffiges Offbeat-Mitmach-Instrumental. Und zuletzt buddeln Sireena den Kneipenlieder-Haudegen Henry Vahl aus – „Einer spinnt immer“, das stimmt wohl.
Country gibt’s hier ebenfalls, mit Don Stevenson, dessen „Driven The Train“ aber mehr nach Tito & Tarantula klingt. The Multicoloured Shades pendelten mit ihrem Psychedelic Rock in die Indie-Szene hinein und reaktiverten sich vor einer Weile, „Somewhere Far Away“ ist vom 2024 erschienenen Comebackalbum „2025“. Zackig-dunkle Elektronik mit bratzigem Gitarren-Solo kommt von The Pachinko Fake, die man ebenfalls noch aus der Neunziger-Indie-Szene kennt; Bandmitglied Rolf Kirschbaum findet sich auf dieser Compilation überdies noch einige weitere Male, das „He Made Love To A Sixpack“ bleibt im Ohr.
In die gitarrenbegleitete Funk-Disco geht’s mit „Lover Of Your Spirit“ von der ebenfalls im vergangenen Jahr verstorbenen Jennifer Kowa. Noch mehr Funk, aber auch noch weit mehr Rock kommt von Brian Parrish, altgedienter Weggefährte von Leuten wie Jerry Lee Lewis oder Gene Vincent. Die äußerst verrückte Band Roman Bunka ist mit weniger verrückter Fusion-Rockmusik an Bord, außerdem mit dem ungewöhnlichsten Songtitel: „Si Ga Ni Wa Ta“, vom 1980er-Album mit dem noch verrückteren Titel „Dein Kopf ist ein schlafendes Auto“. Der „Soul Trip“ von Giants Dwarfs And Black Holes ist keiner, also: Trip schon, aber eher in Space, mit diesem Psychedelic Rock. Vor Nena spielte Carlo Karges bei Desperado, und zwar bluesigen Krautrock, da fühlt man sich „Herzlich willkommen“.
Dann wird es wieder kurios: Hermann Lammers-Meyer von den Emsland Hillbillies duettiert mit Willie Nelson. Was sich liest wie ein Witz, ist ein tränenrührender Steel-Guitar-Schlager, der alle Klischees erfüllt – dies ist ganz sicher „The Part Where I Cry“, ich weiß nur nicht, warum genau. Die krautrockige Bad News Reunion aus Hamburg gab’s auch bereits in den Siebzigern. Ebenfalls im Indie-Bereich angesiedelt waren The Shiny Gnomes aus Nürnberg seit den Achtzigern, ihr garagig rockendes „What Ulli Says“ hat mehr als 30 Jahre auf dem Buckel. Zum Abschluss auch der zweiten CD wird’s nochmal schräg: The Flying Klassenfeind, die 1982 aktive Band der beiden Diederichsen-Brüder Diedrich und Detlef, schunkeln trunken durch „Sin City“.
Der Name der Compilation schließt – wer hätte es ahnen können – an „Pearls For Swine“ an, die Sammlung zum fünften Geburtstag von Sireena. Einige der Bands finden sich auch hier wieder, exakte Songs hingegen keine, es lohnen sich also beide Alben. Wie überhaupt der regelmäßige Blick in den Katalog des Labels, als Stichproben auch über die ab 2001 kontinuierlich erweiterte Sampler-Reihe „The Spirit Of Sireena“ – was die immer wieder aus Archiven zaubern, versetzt auch Kenner in Staunen. Alles Gute zum Geburtstag, Sireena!