Von Matthias Bosenick (01.10.2025)
Was tun, wenn man den Post Black Metal so weit voranbewegt, dass man damit nicht nur in der Szene Pflöcke setzt und die Erwartungen an den Album-Nachfolger in die Höhe treibt? Mit „Innern“ machen Der Weg einer Freiheit beides: einfach so weiter und in essentiellen Aspekten genau dies nicht. Heißt: Das brutale Gebrüll mit Doublebass und Gitarrenflächen bleibt, das Trippige der Hitsingle „Immortal“ verschwindet – aber nicht ersatzlos, denn zum Ende des Albums blicken die Würzburger in Richtung Black Gaze.
Dieser moderne Black Metal hat ja eine angenehme Offenheit, in der sich seit einiger Zeit viele Genreaufbrecher austoben, was die Vielfalt in dem ehemaligen Kirchenanzündermetal erheblich erhöht, und Der Weg einer Freiheit gehören dazu. Sie legen in dem tiefschwarzen brachialen und energetischen Sound das offen, was man als Schönheit auffassen kann, ohne an Härte einzubüßen. Vielmehr erhöhen sie die Komplexität dieser Musik, indem sie einerseits – wie im Post Black Metal üblich – auf epische Länge setzen, also nachtschwarze tonnenschwere Walzen losrollen lassen, aber jeden ihrer Tracks mit Unterbrechungen und Abweichungen anreichern. Dazu gehören Tempowechsel, indem die Blastbeats etwa zugunsten eines eher gruftrockigen oder klassisch hardrockigen Taktes zurückweichen, oder atmosphärische beatlose Ambient-Sequenzen.
Zum Ende der A-Seite, die mit nur zwei Songs komplett ausgefüllt ist, setzt erstmals auf „Innern“ der Black Gaze ein, wenn in „Xibalba“ die Gitarren hymnisch übersteuern und das Schlagzeug sich zugunsten eines enorm verlangsamten Dahinschleppens zurücknimmt. So sehr nach „Ort der Angst“ klingt diese Passage gar nicht, die Melodie, die über dem Noise liegt, hat etwas Beschwichtigendes. Beinahe folgerichtig startet die B-Seite mit „Eos“ auf eine Weise, die an The Cure denken lässt, also noch nicht sofort im Metal, der kommt erst nach dem epischen Gothic-Intro dazu, und dann aber so, dass man damit alle bösen Geister vertreiben kann; und während einem der annähernd klassische Black Metal mit den scharfen Riffs um die Ohren fliegt, schwebt ein Obertongesang hinzu. Doch auch den Song durchsetzen Der Weg einer Freiheit noch mit horizonterweiternden Brüchen. Und beenden diesen epischen Track mit einem Fade-Out.
Ein weiteres Charakteristikum des modernen Black Metal ist der Dreivierteltakt, den setzen Der Weg einer Freiheit in „Fragment“ ein. Dieser Song öffnet den Sound des Albums in die Black-Gaze-Richtung, die etwa an die jüngeren Sachen von Alcest erinnern. Das Gemoste geht dann nicht mehr auf die Fresse, sondern in die Seele, als Soundscape, und der Gesang wird plötzlich klar. Aber das ist nur ein Vorbote, der Song bekommt noch seinen brutalen Teil. Das tatsächliche Fragment ist anschließend „Finisterre III“, das an das vorletzte Album erinnert und bei dem es sich um ein zweiminütiges dunkles Pianointerludium handelt. Konsequent schließt daran „Forlorn“ mit traumhaft cineastischen sanften Ambient-Flächen an, bevor auch dieser Song den Black Gaze, vielmehr schon den Post Rock von Alcest nachempfindet – und weiterentwickelt. Denn auch hier folgt noch, anders als bei den jüngeren Alcest, ein Ausbruch, aber nicht mehr so richtig in den Black Metal, die Härte erklingt hier nicht als Blast, sondern vergleichsweise strukturiert, wie ein – sagen wir – regulärer dunkler Metal. Und endet im Ambient.
Vor vier Jahren schlugen Der Weg einer Freiheit mit „Noktvrn“ einen Weg ein, der ihnen auch außerhalb der Szene einiges Gehör verschaffte. Gefälligkeit als Merkmal zu nennen, wäre hier zu weit gegangen, Zugänglichkeit passt besser, und zwar eine, die die Basis nicht verrät, also einen Spagat hinbekommt, mit dem die Band alte wie neue Herzen erreichte. „Innern“ setzt da an, ohne die neuen aufmerksamkeitsanziehenden Aspekte des Vorgängers zu wiederholen; den Trip Black Metal lassen sie unter den Tisch fallen, den gibt’s ja jetzt schon. Neues ist ja trotzdem drin in diesem Alten, das man ebenfalls bekommt.
Der Weg einer Freiheit ist maßgeblich das Baby von Sänger, Gitarrist und Produzent Nikita Kamprad. Am Bass ist mit Alan Noruspur seit der jüngsten Tour ein neues Mitglied in der Band, geblieben sind Gitarrist Nicolas Rausch und Schlagzeuger Tobias Schuler. Als Kamprad das Projekt 2009 aus der Taufe hob, geschah dies lediglich zu zweit: Er selbst spielte auf dem selbstbetitelten Debüt sämtliche Instrumente und überließ das Mikrofon Tobias Jaschinsky, der auch auf dem zweiten Album „Unstille“ noch zu hören ist. Zur Band wuchs das Projekt erst in der Folge aus.
„Innern“ gibt’s in zahlreichen wunderschönen Vinyl-Varianten, wie es sich gehört!