Von Onkel Rosebud
Es ist Nacht, nur eine Kerze brennt oder ein Feuer. Das Wetter ist schlecht, kalt, neblig, es regnet in Strömen. Leonard Cohens Song „You Want It Darker” schleicht sich in den Gehörgang. „Magnified, sanctified be the holy name. Vilified, crucified in the human frame.” Männer in Tweedmänteln und Schirmmützen, mit Lederhandschuhen und Taschenuhren an schwingenden Ketten betreten die Szene. Sie haben ausrasierte Nacken. „Hitler-Youth Cut“ würde meine Freundin sagen. Die Behaarung der unteren Kopfhälfte ist rasiert, das Haar am Oberkopf meist um ein Vielfaches länger als die seitliche Kopfbehaarung. Unter dem Undercut ist Cilian Murphy, der die Hauptfigur Thomas Shelby verkörpert. Er macht das so großartig, dass alle anderen Figuren zu Statisten werden; sogar Adrien Brody als Antagonist in der 4. und Tom Hardy in der 6. Staffel.
2025 folgt der 7. Streich. Die anfangs belächelte Serie mit ihrer polternden Dramaturgie und den holzschnittartigen Charakteren wurde nicht nur erfolgreich, sondern auch zum kulturellen Phänomen. Wäre jede Staffel so wie die erste und die letzte gewesen, hätte meine Freundin den Kultstatus eher nachvollziehen können, denn in der fiktiven Serie „Peaky Blinders“ wird alles hemmungslos übertrieben, besonders die Figuren und die Geschichten, die irgendwann kein Mensch mehr durchschaut, was aber egal ist, denn darum geht es nicht. Übertrieben ist auch die Gewalt, die jedoch ein solches Abstraktionsniveau erreicht wie das ganze Comic-Relief-artig aufgeblasene Unternehmen dieser Serie, in der die Substanz zweifelhaft und der Stil alles ist. Stylisch hat man hier wirklich das ganz große Ding durchgezogen und optisch opulent inszeniert. Dazu ertönen neben Herrn Cohen Radiohead, Joy Division, Arctic Monkeys, Nick Cave, The White Stripes, The Raconteurs, PJ Harvey, Black Rebel Motorcycle Club etc. und gefühlt jede Zeitlupen-Einstellungen wird mit vorzugsweise Hardrock unterlegt, was bei meiner Freundin jedes Mal Augenrollen verursachte.
„Peaky Blinders“ zieht viel Inspiration aus den Gangster- und Mafiawerken Martin Scorseses. Die Shelbys sind zur bestangezogenen Verbrecherfamilie des britischen Fernsehens geworden. Eine spezielle Anhängerschaft finden die extremen Haarschnitte der Männer mit ausrasierten Nacken, heute sind die „undercuts“ überall zu sehen. Und die Schirmmützen, nicht zu vergessen, die Schirmmützen: Mit ihren eingenähten Rasierklingen gaben sie der Serie ihren Namen und fungieren als eine der vielen tödlichen Waffen, die darin permanent zum Einsatz kommen. Der Satz, mit dem die Gang ihre Zwangsmaßnahmen einleitet, „by order of the Peaky Blinders“, wurde zum geflügelten Wort, berichten meine britischen Freunde.
Es gab sie wirklich: Die Peaky Blinders entstanden schon um die 1890er Jahre, vor der Zeit, in der die berühmte Fernsehserie spielt. So ikonisieren sie sich selbst – die Gang gibt ihnen das Gefühl, zu etwas Größerem zu gehören, mit dem sie sich identifizieren. Den frühen Peaky Blinders geht es noch nicht um Geld. Was sie wollen, ist Status. Und dazu gehört die rücksichtslose Verteidigung der eigenen Straßenzüge. Aber nicht nur Männer gehören dazu, auch Frauen und Mädchen zieren sich nicht vor einem Kampf. Aggressiv, brutal und mit viel modischem Stil: So inszenieren sich die frühen Peaky Blinders und füllen die Zeitungen ihrer Zeit, die Geburt der modernen Boulevardpresse. Auf den Spuren der Gang wandelt auch die Doku „The real Peaky Blinders“ (ZDF-Mediathek bis 31.03.2026). Sie zeichnet nach, wie Slugging-Gangs um Thomas Joyce und später Billy Kimber den ersten modernen Jugendkult, quasi die Punks des 19. Jahrhunderts, bildeten und den Grundstein des organisierten Verbrechens im Vereinigten Königreich legten.
By order of the Onkel Rosebud, Hineni, hineni.