Von Matthias Bosenick (20.08.2025)
Wenn Blixa Bargeld schon David Bowie singt, dann natürlich vornehmlich dessen Songs mit Berlin-Bezug. Zur Seite sitzt ihm Pianist Nicolai „Nikko“ Weidemann, subkultureller Weggefährte seit 45 Jahren, der die vier ausgewählten Lieder dieser EP warm begleitet, auch stimmlich im Hintergrund. Natürlich hat ein Bargeld nicht die Inbrunst eines Bowie, seine Art, die Stimme einzusetzen, unterscheidet sich massiv, er ist mehr der Erzähler als der Sänger, so kennt man ihn, so liebt man ihn. Dringlicher ist jetzt eigentlich noch der Wunsch nach „Blixa Bargeld singt Rio Reiser“.
Auf dieser EP dringt das Theatralische in Bargelds Vortrag noch deutlicher zutage und lässt auch die eigentlich sehr vertrauten Einstürzenden Neubauten nochmal neu betrachten: Kabarett, Kleinkunst, Karneval, bei aller Ernsthaftigkeit der Berliner Industrial-Miterfinder war ohnehin nie von der Hand zu weisen, dass man es mit einer Showtruppe zu tun hat, die das Prozedere umgekrempelt auf den Kopf stellt und dabei trotzdem extrem gute Musik generiert. Na klar! Sobald Bargeld seine Stimme erhebt, sind die Bretter mitzuhören, von denen man sagt, sie bedeuten die Welt, und diese Bretter sind jedes Mal, sobald er etwas darbietet, eigenständig ausgestaltet.
Hier also eher die kleinere Bühne, möglicherweise ein schummeriges Cabaret irgendwo in Berlin, irgendwann mitten in der Nacht, Bargeld ist eigentlich nur Gast, aber der Pianist hat Bock auf Bowie und zerrt den Künstler aus dem Publikum heraus zu sich herauf. „Dann sind wir Helden“, weiß Bowie, und Bargeld stimmt ihm zu. Jenen beinahe archetypischen Berlin-Song singt Bargeld als erstes, indes ausschließlich die deutschen Textanteile, wie man sie aus dem Film „Christiane F.“ kennt. Die Klaviermelodie hat beinahe etwas Fröhliches, man könnte glatt erwarten, dass Weidemann zu einem Boogie ansetzt, macht er natürlich nicht. Schon mit den ersten Tönen wird deutlich, wie warm Weidemann sein Instrument einsetzt, von der längst sprichwörtlichen Kälte der Bowie-Berlin-Trilogie ist hier nichts mehr übrig. Das Überwältigende des Originals bekommt das Duo hier ebenso hin, auch mit reduzierteren Mitteln, da nimmt sich so ein Piano ja nix.
Deutlich wird aber bereits bei „Helden“, dass der Gesangsstil von Bargeld und Bowie so gar nicht vergleichbar ist. Wo Bowie wahlweise mit Tremolo und Inbrunst oder zerbrechlich vibrierend, doch klar und melodiös seine Stimme einsetzt, bewegt sich Bargeld vornehmlich näher am Sprechen als am Singen. Das Attribut hölzern ist da gar nicht negativ gemeint, seine Vortragsweise kultivierte der Berliner ja längst hinlänglich und machte sie zu einem geschätzten Markenzeichen; insofern muss man sich hier schlichtweg umgewöhnen und im Herzen die vertrauten Texte des einen mit der vertrauten Gesangsart des anderen kombiniert bekommen. Das geht! Ergibt aber etwas Anderes, etwas Eigenes. Sonst wären Coverversionen ja auch überflüssig.
So transferiert das Duo das zerbrechliche „Where Are We Now?“ von Bowies 2013er Comeback-Album „The Next Day“ in etwas Festeres, Solideres, auch ohne komplette Bandbegleitung. Hier kontrastiert die explizit deutsche Aussprache der bereits von Bowie aufgeführten Berliner Straßennamen umso deutlicher mit Bargelds teutonischem Englisch. Die nächtliche, einsame, dunkle Atmosphäre des „Low“-Rauswerfers „Subterraneans“ tauchen Bargeld und vornehmlich Weidemann in wohlige Wärme; eine erstaunliche Wahl, handelt es sich beim Original doch um ein sphärisches Synthie-Stück mit dezenter Gitarre und Saxophonsolo, das erst gegen Ende kurz einen vierzeiligen Text bekommt, von Bowie gesungen, als wäre er einem uralten Musicalfilm entsprungen. Eine erstaunliche Umsetzung. Zuletzt widmen sich die beiden „Lazarus“, der letzten Single, die Bowie zu Lebzeiten herausbrachte. Das voll instrumentierte Jazzgerüst des Originals fällt bei dieser Pianovariante natürlich ab, und abermals verleihen Weidemann und Bargeld dem Song eine angenehme Wärme.
Die Vita von Bargeld sollte vertraut sein, der extrovertierte Chef der Einstürzenden Neubauten erfand in den Achtzigern in Berlin das „Hören mit Schmerzen“ und ist aller atonaler kakophonischer Pandämonien zum Trotz längst in der Hochkultur angekommen. Weidemann trat nahezu gleichzeitig auf, als Teil der Band 1. Futurologischer Congress. Weitere Stationen folgten; das einzige Album des Projektes Flucht nach vorn zum Beispiel produzierte Neubauten-Musiker Alexander Hacke, mit dem Weidemann gleichzeitig zur Backing-Band von Mona Mur gehörte, einer weiteren frühen Weggefährtin der Neubauten.
Und nun sitzen die Berliner Bargeld und Weidemann eben zusammen in einem schummrigen Theater und performen den Berlin liebenden Bowie, dass einem die Tränen in die verrauchte Barluft rollen. Eine gelungene Umsetzung, die doch den Wunsch lauter werden lässt, Bargeld würde sich endlich mal ausführlicher seinem ebenfalls aus Berlin stammenden Soundalike Rio Reiser widmen. Dessen Tod jährt sich in einem Jahr zum 30. Mal, das wäre doch ein Anlass, oder?