Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Die Legende Kim Deal

Von Onkel Rosebud

Als das zarte Pflänzlein unserer Liebe noch keimte, also am Anfang der Beziehung mit meiner Freundin, hat mich echt genervt, dass sie Kim Gordon mit Kim Deal verwechselte bzw. dachte, das wäre einunddieselbe Person, die Kim eben. Dabei war das doch aus meiner Sicht gar nicht so schwer, die beiden Göttinnen auseinander zu halten: Die eine spielte Bass in der besten Rockband aller Zeiten und hatte Beef (und eine Tochter) mit dem schlaksigen Thorsten, der sie aber ab und zu mal singen ließ. Die andere spielte Bass in der besten Alternativ-Rockband aller Zeiten und kam mit dem kleinen Frank nicht zurecht, der es nicht für nötig erachtete, sie öfter vor das Mikrophon zu stellen.

Endgültig aufklären konnte ich das Missverständnis auf einem Konzert von Sonic Youth in Berlin, wo ich meine Freundin anschubste und mit dem Finger auf die blonde, ältere Dame auf der Bühne zeigte und meinte: „Das ist die wichtigere Kim von den beiden.“ Diesen Satz würde ich heute nicht mehr so wiederholen, erst recht nicht, weil 2024 Kim Deal ihr fantastisches Solodebüt „Nobody Loves You More“ (4AD) rausgehauen hat und Kim Gordons Karriere nach der Auflösung von Sonic Youth in die Richtung unheilvoll verzerrte Streicher in strukturlosem Elektronik-Gerippen abgedriftet ist.

1961 in Ohio geboren, meldete sich Kim Deal 1986 auf eine Zeitungsannonce und wurde kurz darauf zum Gründungsmitglied der Pixies, einer der bald wichtigsten US-Bands ebenjener Alternative-Rock-Szene, die sich heute noch immer allen Abgesängen widersetzt. Vier Alben lang hielt die Konstellation bis 1993, als die bandinternen Spannungen zu viel wurden. Auslöser für das Zerwürfnis war Deals Unzufriedenheit mit ihrer eingeschränkten Rolle als Bassistin und Backgroundsängerin. Erst in ihrer 1988 als Nebenprojekt gegründeten Band The Breeders konnte Deal der eigenen Kreativität mehr Raum geben. Das Erfolgsalbum „Last Splash“ hat inzwischen einen ähnlich legendären Status wie die Pixies-Alben „Surfer Rosa“ und „Doolittle“, an denen Deal noch als Bassistin beteiligt war.

1994 kam auch die Karriere der Breeders zu einem vorläufigen Ende, weil Schwester und Gitarristin Kelley Deal sich vom Heroin entzog. Kim, heute abstinent, kämpfte damals selbst mit Alkoholabhängigkeit und zog sich wieder in die zweite Reihe zurück. Nun also, endlich, das Solodebüt, auf dessen Cover sie sogar selbst zu sehen ist. Als Stilbruch mit der alten Ästhetik körniger Covercollagen sieht man hier Deal in einem Plastikmeer auf der eigenen Mini-Insel posieren. Umgeben von Gitarre, Amps, einem Flamingo und einem Saturnmodell wirkt die Musikerin wie ein zufriedener Souverän in sportlicher Fantasieuniform – passendes Bild für eine Karriere, die nie auf Selbstüberhöhung basierte, sondern als charmant-cooler Gegenentwurf zum Rockstarimage vieler Kollegen daherkam.

Kim Deals Talent für einprägsame Hooks benötigt auf „Nobody Loves You More“ genau 22 Sekunden, um das erste Mal aufzuscheinen. Stellvertretend für die musikalische Stilvielfalt des gesamten Albums ertönt wie aus dem Nichts ein Bläsersatz, zu dem Deal in Croonerin-Manier jede Showtreppe in Las Vegas herunterwandeln könnte – wofür sie wahrscheinlich aber zu cool ist. Es sind solche Kontraste zwischen jenem von den Pixies und Breeders bekannten lyrischen Understatement mit musikalischer Wandelbarkeit, die Kim Deals Soloalbum frisch und spielfreudig klingen lassen. Mehr noch als weitere ruhige, persönliche Songs erinnern die krachigeren Tracks an die berühmten Vorgängerbands. Mal kratzen Breeders-artige Gitarren, mal verliert sich alles in etwas egale Indierock-Schunkler – in jedem Fall hat Kim Deal die lange Entstehungszeit für ein abwechslungsreiches, nach ihren Vorstellungen produziertes Album genutzt. Es zementiert ihren Status als Legende.

Onkel Rosebud.