Von Matthias Bosenick (02.07.2025)
„Birthing“ soll laut Bandkopf und Liturg Michael Gira das letzte Album der Swans im alten Sound sein, also in der Gemengelage aus Lärm und Schönheit, die diese Band seit 1981 so einzigartig in die Welt brüllt. So richtig zum Brüllen kommen die Swans auf diesem 17. Album schon jetzt nicht mehr, in den zwei Stunden überwiegen hypnotische Loops und Drones und Chöre über die physisch wahrnehmbaren Lärmwände. Auf der beigefügten DVD kann man sowohl Gira solo als auch die Band dabei beobachten, wie sie ihre einzigartigen Monumente errichtet. Ein Spektakel!
Das Pastorale exerziert Gira hier bis zum Exzess, er gebärdet sich als Exorzist, als Prediger, als Liturg, der der Gemeinde die Apokalypse anschaulich nahebringt, während der Kirchenchor dazu zwischen Mahnung und Erbauung die Messe bestreitet. Diese Messe begleitet zudem eine Band, die sich weitgehend zurückhält, die mit ihren Einsätzen das Dringliche unterstreicht, die eine Spannung generiert und erhöht, die die Gemeinde hypnotisiert, in Trance versetzt, einlullt, und die nur selten über den Kipppunkt schreitet und die Euphorie in Raserei ausbrechen lässt. Wer den vertrauten Swans-Lärm sucht, braucht Geduld, muss sich mit gebremster Spannung arrangieren, sie auszuhalten lernen, sie akzeptieren und als gleichwertigen Komplementär zu der Energie, die die Band ansonsten eruptiv als akustisches Pandämonium freisetzt. Das geschieht hier wesentlich seltener, aber so eindrucksvoll wie immer, und in den langen Sequenzen bis dahin generieren die Swans zwar auch eine bisweilen verstörende Musik aus Drones und ungewöhnlichen Zusammensetzungen, aber nur selten Atonales, Dissonantes, Schräges außerhalb der raren wuchtigen Explosionen. Die die Band übrigens nicht allein mit Gitarre-Bass-Schlagzeug generiert, sondern auch mit Vibraphon, Saxophon, Flöte, Hackbrett (wie passend), Piano, Synthies und der japanischen Kastenzither Taishōgoto.
Entsprechend lärmlos startet „The Healers“ mit einem predigenden Gira, der als Tapete lediglich beatfreie milde Drones und den Frauenchor, der das gesamte Album mitgestaltet, hinter sich zeigt. Es dauert acht Minuten, bis überhaupt ein Rhythmus einsetzt – bereits hier ist die Geduld der Bretterfans gefragt. Erst nach 16 Minuten lässt Gira die Zügel los und die Band öffnet kurzzeitig die Büchse der Pandora, doch Gira übernimmt wieder nach Art des Intros, nur noch intensiver skandierend. Bis nun endlich zu einem brutalen Rumpeln, das der Chor weiter begleitet.
Auch „I Am A Tower“ startet als Geduldprobe: Ihre Gewalt produzieren die Swans über Intensität, mit der hier der Prediger und der Chor zu den Drones im Einklang singen. Das Schlagzeug zischt und rauscht dazu, aber es drischt nicht. Irgendwo flirrt ein Sound herum, der an das Intro von „Money For Nothing“ von den Dire Straits erinnert. Sieben Minuten vergehen hier bis zum Lärm, der abermals nicht andauert. Stattdessen bauen die Swans hier Momente der Schönheit, der Klarheit, der Ästhetik und der Filigranität in die Rohheit ein und schwanken wie eine in Seenot geratene Folklorekapelle mit Frauenchor und Hund. Den hört man hier sympathischerweise tatsächlich irgendwo im Studio bellen. Bis dann der alte Kumpel Rock’n’Roll losbrettert, zu dem Neil Young freundlich nickt, bis es selbst ihm zu monoton wird und das Epos als Gospel ausläuft.
Mit Glitzer-Synthies wie Sonne auf dem krisseligen Meer beginnt der Titeltrack „Birthing“. Das Stück arbeitet mit sich gemächlich steigernder Wiederholung und einer dem Siebziger-Prog entliehenen sphärischen Gitarre, Gira fällt mit textlosem Gesang ein und der Frauenchor bleibt bei seinen Leisten. Ein Kind brabbelt alsbald und winkt damit kurz in Richtung „You Know Everything“ vom Vor-Split-Swans-Album „Love Of Life“, nur dass es dort eher quengelt. Nur Geduld, es wird noch wuchtig – was dann nämlich lospoltert, ist eine Industrial-Polka. Die einem wunderschönen Teil das Feld freiräumt, mit im Hintergrund leicht taktend folkartiger Musik zu Giras klarem, versunkenem Gesang. Wie zur Ankündigung feuert die Band eine kurze Lärmattacke ein, Gira fällt aber flugs in eine Solo-Liturgie und endlich gibt’s wieder Walzer-Lärm, dieses Mal länger – der Track und damit die erste CD endet als Terrorhypnose.
Die zweite Hälfte startet mit „Red Yellow“ und einem spooky Horrorfilm-Intro. Der Song wandert langsam hüpfend los, Gira klagt im Hintergrund und der Chor kommentiert ihn bissig, was singen die? „Nimm das Wasser, Hundertwasser, wird noch nasser“? Hier gibt’s auch mal nebenbei schräge Tröten zu hören – und ein abruptes Ende, schön. „Guardian Spirit“ beginnt mit einem mittelalterlich anmutenden Geisterchor und spärlichen spukigen Sounds und geht über in eine Art Ritualgesang mit Stampfen. Gira schreit seine Botschaften in den langsam aufbrausenden Lärm, der Chor singt dazu wie Sirenen von Einsatzfahrzeugen.
Das komplexeste und sperrigste Stück ist „The Merge“. Nach dem von einem Kind geäußerten Satz „I love you, mommy“ startet ein noisiges Industrial-Durcheinander. Daraus erwachsen hallige, fette Drums, und zwar ausschließlich, zumindest für eine Weile. Erst allmählich punktieren sich Schnipsel von Sounds, Drones, Dissonanzen, Soundglitches in die Flächen. Bis ein Kind auf Deutsch bis zehn zählt und ganz abrupt der Chor und die Drones ohne Schlagzeug das Ruder übernehmen. Nach einer Weile fällt Gira mit ein, der Chor kippt ab und Gira singt allein zur Akustischen, wie er es auf seinen Solo-Touren tat. Irgendwelche Geistersamples spuken herum, bis plötzlich ein sozialistischer Empowerment-Frauenchor ein kurzes „pomm pomm pomm“ anstimmt – und der Song endet.
Das finale „(Rope) Away“ ist, wie der Titel es ahnen lässt, zweigeteilt. Lediglich, möchte man anfügen, verglichen mit dem Song davor. Zunächst begleitet eine unverzerrte Gitarre den Chor mit nur einem wiederholt angeschlagenen Ton. Bald ziehen weitere Gitarren schwankende Töne in das Soundgemenge, was überraschend angenehm harmonisch klingt. Das Ganze schaukelt sich postrockig-shoegazig auf, immer noch ohne Schlagzeug, das sich erst später, nach zwölf Minuten, auf eine Weise in den Sound hineinrauscht, dass man es kaum wahrnimmt, eher als weiteres Drone-Instrument, das erst allmählich und nur gelegentlich rhythmisch wird. Der Track wogt schwerfällig, und nach einer Viertelstunde beginnt der zweite Song. Gira singt, die Instrumente ergeben ohne Schlagzeug eine rhythmische Folklore. Dieses letzte Stück hätte es in solcher Klarheit bereits auf der „Love Of Life“ geben können.
Der Digipak-Doppel-CD ist in einem unscheinbaren Schlitz unter der zweiten CD die DVD beigefügt. Darauf hört und sieht man eine Stunde lang Gira solieren und anderthalb Stunden lang die komplette Band wüten. Ersterer Film nennt sich „Live Solo 2022: I Wonder If I’m Singing What You’re Thinking Me To Sing“, zweiterer „Live 2024: (Rope) The Beggar“. Monolithisch wie seine Musik baut sich auch Gira auf der Bühne auf, ernsthafte Blicke streuend und seine Akustikgitarre anschlagend, bisweilen sogar ohne zweite Hand auf dem Griffbrett, was dann gar nicht wie zu erwarten nach einem Amateur an der Klampfe klingt, sondern so beängstigend, drückend, lastend wie die Musik der Swans bei voller Last. Beachtlich. Diese DVD lieg tauch der Vinyl-Version bei, auf der indes – wie bereits bei früheren Swans-Alben – einzelne Songs gekürzt wurden, hier „The Healers“ und „Birthing“.
17 Studioalben in fast 45 Jahren inklusive zweier Pausen sind eine überblickbare Anzahl, möchte man meinen, wird aber von Nebenprojekten, Livealben und Compilations geplättet. Dafür ist man zum Schmunzeln geneigt, wenn Gira zum wiederholten Male in Aussicht stellt, etwas enden zu lassen; dieses Mal den Sound der Band und die Zentrierung um ihn als Kopf. Abwarten. Bisher gehören die Swans jedenfalls in die bedauerlicherweise extrem kurze Liste der Bands, die nach einer Reunion musikhistorisch und künstlerisch bemerkenswerte neue Studioalben aufnahmen. „Birthing“ gehört dazu.