Hans Rosenthal – Zwei Leben in Deutschland – eine jüdisch deutsche Geschichte (gebundenes Buch: Quadriga 2025; Hörbuch: Lübbe Audio 2025)

Von Guido Dörheide (12.06.2025)

Hans Rosenthal, einer der Titanen der Rundfunk- und Fernsehunterhaltung der deutschen Nachkriegszeit, wäre am 2. April dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Leider ist er schon im Februar 1987, kurz vor seinem 62. Geburtstag, in Folge einer Krebserkrankung verstorben. Mit „Dalli Dalli“ und „Rate mal mit Rosenthal“ hat er für zahlreiche Fernsehsternstunden meiner Kindheit gesorgt, mit seiner immer authentischen, warmherzigen Art – Rosenthal war jederzeit darauf bedacht, die Auftretenden in seinen Shows gut dastehen zu lassen und menschlich-sympathisch rüberzubringen – machte er mir deutlich, dass man sowohl prominent als auch bescheiden und menschlich sein konnte, und dann erzählte mir meine Oma, dass Rosenthal als Jude nur mit Mühe und Not das Dritte Reich überlebt habe.

Ausgerechnet meine Oma, Tochter eines NSDAP-Mitgliedes der ersten Stunde, den sie später quasi zum Oskar Schindler Masurens verklärte, brachte mir diesen Umstand nahe; ich brauchte Jahrzehnte, um zu verstehen, dass sie einerseits das Dritte Reich mit seinen zahlreichen Freizeitangeboten für junge Leute (BDM, HJ) knorke fand, dennoch irgendwie der Meinung war, dass Hitler die Judenverfolgung zumindest dahingehend übertrieben hatte, dass ihm der Rest der Welt irgendwann auf die Schliche kam, und am Ende keine wohl doch irgendwie keine überzeugte Nationalsozialistin gewesen ist, sondern vielmehr so sehr im NS-Sinne indoktriniert wurde (zu Beginn der gut zwölfjährigen Schreckensherrschaft des „Tausendjährigen Reiches“ war sie neun Jahre alt, wie hätte da die Indoktrination keinen Fuß fassen können?), dass sich vieles in ihren Erzählungen zu einem immer noch sehr braunen Erinnerungsbrei vermischte. Eine Verblendete, der ich das Ausmaß ihrer Verblendung nur schwer verzeihen konnte. Aber das Schicksal des auch von ihr verehrten Rundfunk- und Fernsehgenies Hans Rosenthal als Kind und Jugendlicher im Dritten Reich ging ihr zu Herzen. Vielleicht war doch nicht alles schlecht an Oma.

Kurz vor Rosenthals 100. Geburtstag erschien sein ursprünglich im Jahr 1980 veröffentlichtes Buch „Zwei Leben in Deutschland“ in einer Rewiederneuveröffentlichung mit einem neuen Vorwort der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Adriana Altaras. In diesem macht sie deutlich, welche Bedeutung ein Jude als allergrößter Unterhalter aller Zeiten im deutschen Fernsehen für ihre jüdische Familie hatte, welchen Stellenwert „Dalli Dalli“ im Kulturgedächtnis der BRD vor der Wende einnahm und wie Rosenthal es schaffte, quer durch die Generationen zur Integrationsfigur zu werden. In den 1970er und 1980er Jahren war es nicht peinlich, Rosenthal zu verehren, auch wenn es die eigenen Eltern ebenso taten. So kenne ich es auch aus meiner eigenen Kindheit.

Da ich minnichstens zweimal pro Woche mit dem Fahrzeug aus dem Harzgebirge in die zweitgrößte Stadt Niedersachsens fahre und dabei viel Zeit habe, mich vom mp3-Player vollsabbeln zu lassen, legte ich mir „Zwei Leben in Deutschland“ als Hörbuch zu und war sehr schnell sehr begeistert davon: Thomas Schmuckert verliest das Buch in einem liebenswert-plaudernden Tonfall, in dem ich den Geist des Hans Rosenthal, wie ich ihn in Kindheitserinnerungen abgespeichert habe, an jeder Stelle wiederfinde – er versetzt mich quasi einerseits in meine Kindheit voller Dalli-Dalli-Erinnerungen und bringt mir andererseits einen Hans Rosenthal nahe, wie ich ihn aufgrund meiner späten Geburt nicht selbst erleben durfte. Besser hätte man den Vorleser nicht auswählen können.

Im ersten Teil des Buches beschreibt Rosenthal seine unbeschwerte Kindheit in Berlin, in einer Familie, die stets Geborgenheit und Zusammengehörigkeit bot, und der dann nach Hitlers Machtergreifung in jeder nur denkbaren Art zugesetzt wurde. Rosenthals Eltern starben beide eines natürlichen Todes – der Erzähler lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass die obwaltenden Umstände zu diesem beigetragen haben; als Vollwaise gelangen Hans und sein jüngerer Bruder Gert in ein Waisenhaus. Nach dem Verlust der Eltern bemüht sich der immer noch jugendliche Hans, seinen kleinen Bruder zu beschützen, dennoch wird dieser mitsamt der gesamten Waisenhausbelegschaft in ein NS-Vernichtungslager abtransportiert. Auch alle anderen Verwandten Rosenthals werden von den Nazis abgeholt und später wird mitgeteilt, sie seien an „Herzversagen“ gestorben – der Nazi-Euphemismus für „im KZ umgebracht“. Auf sich allein gestellt, schafft es Hans, sich mit Hilfe zweier deutscher, nicht-jüdischer Frauen in einer Kleingartenkolonie zu verstecken und den Krieg zu überleben, obwohl es nicht weniger als sieben Mal fast sicher war, dass der Jude Hans Rosenthal als solcher entdeckt würde und keinerlei Überlebenschancen besäße. Doch er hatte die notwendige Portion Glück – die ohne die Zivilcourage der ihn versteckenden Frauen keinen Wert besessen hätte – und überlebte die Jahre der menschenverachtenden Diktatur. Neben seinem Überlebenskampf beschreibt Rosenthal zahlreiche Begebenheiten während der NS-Zeit, die deutlich machen, dass das Leben eines Juden damals zu jeder Zeit am sprichwörtlichen seidenen Faden hing, dass es auf der anderen Seite aber auch immer mutige Menschen gab, die zu helfen bereit waren und dafür ihr eigenes Leben riskierten.

Eventuell war das einer der Gründe dafür, dass Rosenthal nach Ende der NS-Zeit nicht nach Israel emigrierte, sondern sich bewusst für ein Leben in Deutschland entschied. Ida Jauch und Maria Schönebeck, die Rosenthal mit Hilfe von Emma Harndt in der Kleingartenkolonie versteckten, wurden später von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt.

Nach dem Krieg beginnt Rosenthal eine Karriere beim Berliner Rundfunk, der im Ostteil der damals noch nicht durch eine Mauer getrennten Stadt beheimatet war. Dort hatten die Sowjetunion und die SED das Sagen und Rosenthal entwickelte sich – nachdem er zunächst die kommunistische Grundannahme, alle Menschen seien gleich, sehr begrüßt hatte – zum überzeugten Antikommunisten, nachdem er durch einen SED-Abteilungsleiter des Berliner Rundfunks gelernt gekriegt hatte, dass es auch in der kommunistischen Doktrin wertes (Führungskräfte und Redakteure) und unwertes (Putzfrauen und Arbeiter) Leben gäbe. Schnell wechselt Rosenthal zum RIAS und kann dort zahlreiche von ihm selbst ausgedachte Unterhaltungsformate realisieren. Mit der beim RIAS erworbenen Erfahrung gelingt es Rosenthal, sich beim Fernsehen einen Namen zu machen, und er ist am Ziel seiner Wünsche angekommen.

Das alles beschreibt Rosenthal so bodenständig und sympathisch, dass man es kaum glauben kann, dass hier der allergrößte deutsche Nachkriegsshowmaster erzählt. Und tatsächlich – alles, was Rosenthal gemacht hat, wirkt irgendwie am Boden geblieben, glaubwürdig und vollkommen fern jeglichen Größenwahns. Rosenthal hat die einfachen Fernsehgucker immer erreicht und sich nie über sie gestellt, obwohl er schon längst einer der ganz Großen der Unterhaltungsindustrie geworden war.

Im Buch merkt man schnell, wie es Rosenthal schafft, immer auf Augenhöhe mit seinem Publikum zu bleiben: Er schildert Pannen in seinen Fernsehshows, aufgrund derer er befürchtete, die jeweilige Show zu verlieren (was manchmal tatsächlich passierte), beschreibt seine „todsicheren“ Ideen, als Selbständiger Fuß im Wirtschaftsgefüge zu fassen, die alle gnadenlos scheiterten, Freundschaften, die ihn prägten (wie zum Beispiel zu seinem jahrelangen Mitstreiter Günter Neumann, der unerwartet 59jährig verstarb) und vor allem die Beziehung zu seiner Frau Traudl und das Familienglück mit seinen Kindern Birgit und Gert (den er nach seinem von den Nazis getöteten Bruder benannte). Rosenthal war als Familienmensch ein eher traditionell-patriarchalischer Typ, der davon Abstand nahm, seine Kinder zu wickeln und seiner Frau nach der Eheschließung nahelegte, ihren Beruf niederzulegen. Über beides legt Rosenthal in „Zwei Leben in Deutschland“ in einer Art und Weise Zeugnis ab, dass man ihm irgendwie nicht länger böse sein kann. Es war damals eine andere Zeit und Rosenthal macht im Jahr 1980 nicht den Eindruck, als wäre er stolz auf seine patriarchalische Haltung (er lässt durchblicken, dass es seiner Frau überhaupt gar nicht daran gelegen gewesen wäre, eine eigene Berufstätigkeit durchzusetzen – klingt zugegebenermaßen scheiße, mildert aber ab, Hänschen nun als Chauvinistenarsch wahrzunehmen) und macht deutlich, dass er sich immer gegenüber jenen Vätern unterlegen fühlte, die in der Lage waren, den eigenen Nachwuchs zu wickeln, was für 1980 eine wie ich finde dolle Einsicht ist.

Weiters beschreibt Hans Rosenthal seine Zeit als Vorsitzender von Tennis Borussia Berlin, während der er so richtig ahnungslos in die Mühlen des Gesetzes und der brutalen Wirklichkeit des Profisports geriet – besonders toll ist hier die Schilderung der Korrumpierungsbemühungen zweier Sportschuhfabrikanten, deren Namen Rosenthal nicht preisgibt. Er lässt aber den Hinweis fallen, dass es sich um die Fabriken zweier Brüder handele, die in derselben Stadt beheimatet seien. Ich vermute, dass ganz Herzogenaurach sich 1980 beim Lesen der Erstauflage kaputt gelacht hat.

Im Nachwort äußert sich Hans Rosenthal dann sehr ausführlich über Religionen: Als Jude macht er sich Gedanken, warum verschiedene Religionen sich immer bekriegen, erklärt jüdische Bräuche, die uns aufgeklärt-abendländischen (habe ich „Uns scheint die christliche Sonne der Weisheit aus dem Arsch“ hinreichend deutlich verklausuliert?) Christenmenschen barbarisch erscheinen, und kommt zu dem Schluss, dass die großen Religionen immer die Menschlichkeit und das friedliche Miteinander zum Ziel haben. Das sehe ich anders, kann aber Rosenthals idealistischen Ansatz verstehen. Auch hier muss ich meinen Hut ziehen vor Rosenthals Humanismus: Er, der er während des Dritten Reiches siebenmal fast zu Tode gekommen wäre, betrachtet das Leben von einer Seite, der keine Bösartigkeit innewohnt (obwohl Rosenthal diese zur Genüge zu spüren bekommen hat); er, dem während seiner Nachkriegskarriere sowohl von Kommunisten als auch von Kapitalisten übel mitgespielt wurde, hat in allen Menschen immer das Gute gesehen und sich nach Kräften bemüht, dies auch im Fernsehen hervorzuheben.

Beim RIAS hat Hans Rosenthal immer zugesehen, das ostdeutsche Publikum mit einzubeziehen, seine zahlreichen Radiosendungen habe ich nie gehört, weil ich damals noch nicht geboren war, aber jetzt, knapp 40 Jahre nach seinem Tod, habe ich begriffen, was für eine integrative und besänftigende Figur Rosenthal für die vom kalten Krieg bewegte deutsche Nachkriegsgesellschaft gewesen ist und wie viel wir Deutschen ihm zu verdanken haben. Lehrreich ist auch Rosenthals Beschreibung, um nicht zu sagen Demontierung des Chefideologen des DDR-Fernsehens Karl-Eduard von Schnitzler, darüber hinaus erzählt Hänschen von zahlreichen Begegnungen mit Größen der Kulturszene wie Ilse Werner, Alfred Biolek, Karel Gott u.v.a.m. Und so peinlich die Erzählungen auch sein mögen – niemals führt er die Erzählten vor.

„Zwei Leben in Deutschland“ ist eine unterhaltsame Lektüre für alle Lesenden – allein schon die Sprache der 1970er Jahre fernab jeglicher angelsächselnder Superlative ist ein wahrhaftiger Heiterkeits-Erfolg –, ein Lehrstück in Überlebenskunst und Humanismus in jeglicher Form und ein Porträt eines Fernsehschaffenden, wie es ihn heute wahrscheinlich nicht mehr gibt und nie mehr geben kann. Das Buch schlägt eine Brücke von Deutschlands finstersten Jahren über die Euphorie der Nachkriegsjahre hin zur Ernüchterung der heutigen Zeit, von der Rosenthal Anno 1980 ja noch gar nichts wissen konnte. Deren Beginn sich aber damals schon abzeichnete und der sich durch nichts – leider auch nicht durch die von Rosenthal sehr herbeigesehnte, aber nicht mehr miterlebte Wende – aufhalten ließ. Hans Rosenthal und seine Fähigkeit, die Menschen zusammenzubringen und für bekloppte Spiele vor der Kamera zu begeistern, ohne sie dabei blöde aussehen zu lassen, fehlt uns heute. Sagt einer, der die späten 70er und alles danach bei vollem Bewusstsein miterlebt hat.

Und Formulierungen wie „Das und das hatten wir zweimal, da müssen wir eins abziehen, plus Spitze, macht 8“ werden alle Zeiten überdauern.