Krügerglantzquartett – Alles gut – KGQ 2024

Von Matthias Bosenick (08.05.2025)

Zehn Jahre Krügerglantzquartett – das eigentliche Duo aus Christian Krüger und Peter M. Glantz, das live per Projektion als bis zum Oktett hin auftritt, ist inhaltlich wie visuell ironisch, widersprüchlich, paradox, abstrakt mit seiner electrobasierten theatralischen Kunstpopmusik, die es auf bisher drei Alben veröffentlichte. Der runde Geburtstag nun ist der Anlass, ein Extrakt davon als Schallplatte herauszubringen: „Alles gut“ entlarvt die Doppelbödigkeit der Texte bereits im Titel, denn das Duo mag diese Floskel nicht. Man selbst hingegen kann aber nicht anders, als diese Musik zu mögen. Glücklich, wer im Dezember die Show zur Platte im Das Kult zu Braunschweig erleben konnte. Noch glücklicher, wer mit dem DJ-Team Rille Elf diese fantastische Show auch noch begleiten durfte!

In Krügers Texten gehen Humor und Ironie, Poesie und Abstraktion Hand in Hand. Sobald er sich kritisch äußert, richtet er sich nicht offensiv gegen etwas, sondern überhöht es, überblendet es gar und dreht es den Befürwortenden im Hals um. Sein Vortrag ähnelt gelegentlich dem Rap, er sprechsingt zumeist, aber nicht ausschließlich, und manchmal übernimmt der für die Musik zuständige Glantz eine zweite Stimme. Diese Musik ist vordergründig elektronisch generiert, aber man hört Gitarren und echtes Schlagzeug heraus sowie so manches weiteres Instrument. Die Struktur seiner Songs passt er zumeist einem modernisierten Hip Hop an, er startet im Kopfnickermodus und bricht dann mit den Konventionen. Und eigentlich ist das alles ein gigantisches Musiktheaterstück, das zwar auf Tonträger bestens funktioniert, weil die Texte und die Arrangements eben hervorragend sind, aber mit der visuellen Komponente einen einzigartigen Mehrwert bekommt.

Auf der Bühne stehen nämlich lediglich zwei Mikrofone, die Rückseite ist durch eine Leinwand abgehängt. An diese Mikrofone treten nun Krüger und Glantz, stilecht in Anzüge gewandet, und performen die Songs, die instrumental komplett vom Playback kommen. Aber nicht danach aussehen, denn alsbald flammt ein Projektor auf und zeigt auf der Leinwand, wie Glantz und Krüger vor wechselnden Hintergründen die gehörte Musik generieren. So wird das Duo zum Quartett, und wenn es sein muss, etwa sobald die Songs musikalisch fetter werden und man das klassische Rockinstrumentarium benötigt, auch zum Sextett und zum Oktett. Das achtköpfige Duo entfesselt dann einen Rausch, dem man sich bereitwillig aussetzt. Eine solche Show ist natürlich nicht variabel, hier sind Improvisationen nicht möglich, es ist eine komplett durchchoreografierte Darbietung, die das Duo immerhin mit Zwischenansagen unberechenbar hält. Berauschend für Rille Elf gestaltete sich auch der Abspann nach der Zugabe, denn die DJs legten ihre Tanzmusik zum gefilmten Bühnenabbau der virtuellen Doppelgänger auf. Perfektion bis ins Detail.

Die A-Seite der Best-Of nun beginnt mit „Popakademiker“, einem Stück, das Kritik äußert an der Mainstream-Akademisierung von etwas, das eigentlich aus einem selbst herauskommen sollte, nämlich Musik, also Kunst. „Ich scheiß auf DIY, ich schreib mich morgen ein – in die Pop-Akademie“, skandiert Krüger, und er phrasiert es so, dass man auch „Indiepop-Akademie“ heraushören kann. Das Stück ist ein Headbanger, der zusehends noisiger wird und in Geschrei gipfelt. Es folgt „Alle Leute“, ein Piano-Electro-Swing über Selbstwahrnehmung, über die Auseinandersetzung des Ich mit dem Rest der Gesellschaft. „To Go“ befasst sich mit den Auswüchsen des im Wortsinne Beiläufigen im Alltag, eingebettet in einen Big Beat im Café del Mar und mit einem begnadeten komödiantischen Abspann.


Bei „Unfertig 2“ handelt es sich um einen technoiden Rap mit einem jazzigen Refrain, in dem Konsum und Produktion sowie die damit einhergehende Manipulation der Kundschaft das Thema sind, mit einem mit desillusioniertem Schlumpf am Schluss. Das „Tanzlied“ ist eines, sowohl inhaltlich als auch formal: Ein treibender Beat mündet in einen reduzierten Refrain mit Gitarre, Krüger hechelt sich durch einen zerstörerischen, egomanischen, ignoranten Turbokapitalismus, hin zu einem gehetzten Finale. Dem kann man ja nur mit einem „Egalsystem“ begegnen, das eine Gegenwart beschreibt, die ihr Verhalten nicht von den künftigen unangenehmen Folgen beeinflussen lässt. Dies geschieht in einem Electro-Gewand, das sich zum Refrain hin steigert und eher eine Rock- als eine Techno-Struktur hat.

Humor ohne Text generiert das KGQ in „Vision“: Zum Kopfnicker-Beat mit sphärischer Gitarre kündigt Krüger an, „diese Vision wird vervollständigt in exakt 25 Sekunden“, und danach übernimmt Glantz es, mit Orgel und einem bei „Lullaby“ von The Cure geborgten Rhythmus rein instrumental schräge Sounds anzuhäufen. Das 2020 erschienene „Tapete“ könnte man als Vision der Corona-Szenerie auffassen, in der Krüger die Aussichten während einer Quarantäne auflistet, nämlich diverse Arten von Wandschmuck als einzigem visuellen Eindruck. Dies geschieht zu einem Offbeat mit Bläsern und Electro und entwickelt sich zu einem minimalistischen Electro-Drama mit wimmernder Gitarre.


Die Selbstpräsentation nicht nur vermittels Selfies in Social Media ist Thema in „Andy Warhol“, dessen Zitat von den 15 Minuten Ruhm hier zwar nicht fällt, aber im Geiste mitschwingt. Der Refrain ist ein großgestiger Electro-Gitarren-Pop, der in seiner Ausrichtung an den von Phillip Boa erinnert, und der sang ja auch schon über „Andy W“, wenngleich sein Song komplett anders klingt als dieser. In den „Berlin Tapes“ summiert Krüger diverse Herausforderungen und zu tätigende Anstrengungen des Lebens, denen sich sein Ich-Charakter ausgesetzt sieht, und weist die Kultur-Oase Berlin als Lösung seiner Dilemmas von sich, er will nämlich viel weiter greifen. Das Stück ist eine Art beklemmender Pop.


In der „Volksburg“ verquirlt Krüger traditionelle Lebensentwürfe in einem eigentlich chilligen Track. Der „fängt doch schön an“, stellt Krüger fest, dann aber eskaliert die Musik in amtlichem Noise. Kaum mehr als ein Interludium ist „Selbstoptimierung“, eine Art Werbejingle zu Vinylknistern, der etwas allgemein als positiv Gelesenes fröhlich als Bedrohung klassifiziert. Aber wir haben ja unsere „Warmhaltewelt“, die einen trügerischen Eskapismus anbietet. Das Stück ist ein Crooner-Chanson, in dem Orgel und Dub eingebaut sind und der die Hörerschaft brutal zurück in die Realität holt. Die endet mit „Kegelbahn“, einer Art Meta-Song, einer Selbstbeschreibung des KGQ zu Achtziger-Synthiepop mit lebendigem Schlagzeug, in dem Krüger im Tonfall von Blixa Bargeld Allmachtsfantasien loslässt. Ein angemessenes Finale.

Drei Alben gab es bisher, aus denen sich „Alles gut“ zusammenstellt, und es wäre schön, wenn es die alsbald ebenfalls als Neuauflage gäbe, denn das Debüt „Alles in Bestform“ aus dem Jahr 2015 und der Nachfolger „Verfassung“ aus dem Jahr 2017 sind auf CD nicht mehr zu haben, das bisher letzte Album „Keine Verhältnisse“ von vor fünf Jahren hingegen schon. Dem Vinyl von „Alles gut“ liegt noch ein Heft bei, das dem Multimediamix des Krügerglantzquartetts eine zusätzliche Komponente hinzufügt: Print. Und bald ist „Alles gut“ auch digital erhältlich.

Alles gut:

Popakademiker (von „Verfassung“, 2017)
Alle Leute (von „Alles in Bestform“, 2015)
To Go (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Unfertig 2 (von „Verfassung“, 2017)
Tanzlied (von „Alles in Bestform“, 2015)
Egalsystem (von „Alles in Bestform“, 2015)
Vision (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Tapete (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Andy Warhol (von „Verfassung“, 2017)
Berlin Tapes (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Volksburg (von „Alles in Bestform“, 2015)
Selbstoptimierung (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Warmhaltewelt (von „Keine Verhältnisse“, 2020)
Kegelbahn (von „Verfassung“, 2017)