Von Onkel Rosebud
Alfons Zitterbacke ist die populärste Kinderbuchfigur der DDR. Erfunden wurde sie von Gerhard Holtz-Baumert, einem systemtreuen SED-Funktionär, in den 60er Jahren. Mehrere Bücher erzählen humorvolle, aber auch nachdenkliche Geschichten aus dem Leben eines aufmüpfigen Jungen. So jedenfalls hatte ich die Kindheitserinnerung verklärt abgespeichert. Für diesen Text habe ich noch mal „Alfons Zitterbacke: Geschichten eines Pechvogels“ aus dem Bücherregal meiner Freundin gefischt und war entsetzt.
Zuerst sind mir die veralteten und klischeehaften Rollenbilder negativ aufgestoßen. Der meist sehr lieblos und harsch mit dem Sohn umgehende Vater kommt als recht gefühlloser Nachkriegsdödel rüber, der es nicht schafft, seinen Sohn zu unterstützen und etwas Selbstvertrauen mitzugeben. Selbst als der kleine Alfons beim Angeln (zu dem der Vater ihn zunächst gar nicht mitnehmen wollte) endlich Glück hat und (anders als der Vater) ein paar Fische fängt, gönnt ihm der Vater dies nicht und reagiert beleidigt und verärgert. Die Mutter bleibt stets im Hintergrund und ordnet sich entsprechend unter. Dieses Verhalten der Protagonisten hat mitunter eine gewisse Komik, aufgrund der Häufigkeit ist es eher deprimierend.
Als nächstes schlich sich das Gefühl ein, dass Alfons kein Pechvogel, sondern ein Opfer ist, das keine Hilfe von den Eltern, den Lehrern, Klassenkameraden etc. bekommt, wenn etwas schiefgeht. Wirklich jede Geschichte endet irgendwie negativ, ohne Lösung der jeweiligen Situation. Da wird Alfons vom Vater ins Wasser geschubst und ausgelacht, weil er keinen Kopfsprung kann, oder fremde Erwachsene drohen ihm mit Schlägen. Er ist eine Spott-Figur, über die gelacht werden bzw. der man sich überlegen fühlen darf. Zum Auslachen und ungehemmter Häme Freigegeben. Man könnte das zwar auch andersrum betrachten: Dieser aufgeweckte Junge kann seine Missgeschicke gut verkraften, aber wie anders soll das enden, außer als Erwachsener in Therapie? Ist die Lektüre eigentlich ein Standardwerk im Seminar „Mobbing“ eines Pädagogik-Studiums?
Und schließlich: Rechtschreibung und Grammatik sind grausam und holprig. Bei stilistischen Fehlern, wie zum Beispiel „Papa stellte den Futternapf in das Bauer“ stellen sich die Nackenhaare auf – und überhaupt kommt Genitiv in dem Buch einfach nicht vor. Dafür weiß ich wieder, was eine „Joppe“ ist, und habe dieses Wort erneut in meinen aktiven Sprachwortschatz aufgenommen.
Interessant ist ja, wie unterschiedlich man so ein Kinderbuch in Erinnerung behalten kann. Auf amazon hat das Buch 82% 5 Sterne bei 150 Bewertungen. Warum hat „Zitterbacke-Hühnerkacke“ in mir nicht schon damals die Seite ansprechen können, die selbst ängstlich und schnell beschämt ist? Warum konnte ich mich damals nicht mit ihm solidarisieren?
Neulich hat meine Freundin rausgefunden, dass es Alfons Zitterbacke in die Bundesrepublik geschafft hat. Ich kenne den 1966 entstandenen gleichnamigen Film des Regisseurs Konrad Petzold aus Radebeul und die sechsteilige Fernsehserie aus dem Jahr 1986 aus dem DDR-Fernsehen. Es gibt wohl zwei Filme „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ (2019) und „Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt“ (2022). Ich traue mich nicht, meine Internet-Suchmaschine zu bedienen, um rausfinden, was es damit auf sich hat.
Onkel Альфонс Ціттербаке Rosebud