Deafheaven – Lonely People With Power – Roadrunner Records 2025

Von Guido Dörheide (05.04.2025)

Jahaa – Deafheaven. Die Helden des Blackgaze, des Post Black Metal, die uns mit tollen Albumtiteln wie „Sunbather“ (dem 2013er Durchbruch-Album) oder „Ordinary Corrupt Human Love“ (2018, immer noch einer meiner Lieblings-Albumtitel und ein großartiges obendrein) versorgten, melden sich mit „Lonely People With Power“ (meinen die jetzt Trump, Musk, den Rambo-Zambo-Man oder diesen Typen aus Bayern, der sich gerade einen Bart stehen lässt?) zurück und lassen das irgendwie tolle, aber mit zu viel Klargesang und akustischer Instrumentation überfrachtete „Infinite Granite“ aus 2021 vergessen. Das macht schon das Albumcover deutlich: Gab es auf „Infinite Granite“ noch irgendeine pseudoaussagekräftige Gemengelage aus Blau, Schwarz und groben Pixeln zu sehen, ziert „Lonely People With Power“ eine Frau mit blauem Lidschatten, die sich auf eine Autotür stützt und eine in diesem offenkundig der Malaise-Era zurechenbaren Fahrzeug (zumindest vermute ich das anhand des dunkelroten Kunstlederbezugs auf dem Armaturenbrett) befindlichen weiteren Frau ansieht. Das lässt Raum für Herumrätseleien (Wer sind die zwei? Was verbindet sie? Und was zum Teufel ist das für ein Auto?) und es sieht vor allem voll schön aus. Und all Jenen, die dachten, die großen Deafheaven-Zeiten seien vorbei und nun mache sich Klargesang mit akustischer Instrumentierung breit, sei gesagt: Deafheaven sind zurück, und zwar mehr als jemals zuvor.

„Incidental I“ ist ein Instrumental, das mich aufgrund des Titelbestandteils „Dental“ an einen Besuch beim Zahnarzt erinnerte und auch in der Tat so klingt, aber mit „Doberman“ fangen einen die fünf San Franziskaner dann schöön behutsam auf: Die Gitarren bilden eine hell tönende und düster wirkende Wand, George Clarke singt – nein, singt nicht, sondern screamt und growlt, yee-haw, kein Klargesang, Hosiannah!!! – so, wie man es auf einem Deafheaven-Album nunmehr wohl anscheinend wieder erwarten darf, die Melodie nimmt die Hörenden gefangen, ja super, es passt alles und geht hoffentlich so weiter. Der Song ist über sechseinhalb Minuten lang und darf das auch, hier ist nichts zu viel und außerdem benötigt man auch etwas Zeit, um sich in das Schlagzeug einzuhören. Hammer, wie Daniel Tracy es schafft, die schleppende Atmosphäre des Songs nicht zu zerstören und dennoch in so hoher Geschwindigkeit auf seine Trommeln einzuschlagen.

Und musikalisch geht es gottlob so weiter, wie Deafheaven es auf „Doberman“ vorgeben: „Magnolia“ haut exakt in dieselbe Kerbe, beginnt mit einem unterbrochen ratterndem Riff, setzt mit dem verstörend abgehackten Laut-Leise-Schema aber auch eigene Akzente und rattert dann nach einer Minute fröhlich vor sich hin. OK, eigentlich nicht wirklich fröhlich.

Auf „The Garden Route“ kommen dann tatsächlich sehr schöne akustische und melodiöse Instrumentalpassagen zum Tragen, aber kaum hat man sich damit angefreundet, keift George Clarke wieder drauflos, und das harmoniert mit den nach Gothic klingenden Instrumenten um so vieles besser als der Klargesang auf dem vorherigen Album. Ein ruhiges, gotisches Stück mit abartigem Gekreische – Herz, was willst Du mehr?

Nun – zum Beispiel die Fortsetzung des einleitenden Instrumentals „Incidental I“ mit mehr Länge und vor allem Gesang. Der siebte Song des Albums braucht lange, um in die Gänge zu kommen, wir hören kein Schlagzeug, aber eine kratzende E-Gitarre und einen wunderschönen Gesang. Klargesang, und trotzdem wunderschön! Was nicht verwundert, wenn man mal in die Credits schaut: Auf „Incidental II“ singt nämlich nicht George Clarke, sondern Jae Matthews, die im normalen Leben beim düsteren Elektronik-Duo Boy Harsher tätig ist. Wunderbar, wie sie den Song einleitet und dann ab Minute 3 von Clarkes Gebrüll eindrucksvoll unterstützt wird. Auf dem folgenden „Regulator“ brüllt Clarke von Anfang an und die Riffs begeistern total. Wenn schon der Gesang keine Melodie liefert, tun es die Gitarrenriffs, und dazu quietscht es alle Naselang atonal rein, dann kommen Momente des Djent, Clarke kreischt munter weiter und „Infinite Granite“ verschwindet als winzig kleiner Nachgeschmack am Firmament.

„Body Behavior“ ist eine wundersame Melange aus Gothic Rock und Post Metal und wartet auch wieder mit dieser seltsamen Abgehacktheit aus „Magnolia“ auf. Und mit dem Gesang Clarkes, an dem ich mich nicht satthören kann und der um so vieles besser ist als auf dem Vorgänger-Album. Dann folgt „Incidental III“, diesmal mit Paul Banks von Interpol am Gesang. Eigentlich ist es ein weiteres, aber sehr schönes Instrumental-Interlude und Banks singt nicht, sondern sabbelt nur. Aber gut. „Winona“ ist dann ein sehr schön langes (7:28 Minuten lang) Stück melancholischen Gekeifes mit wunderschönen Akustikpassagen und auf „The Marvelous Orange Tree“ wechseln sich ebenfalls gotische Instrumentalpassagen und Clarksche Kreischexzesse ab, ein würdevoller Abschluss für ein Album, das soo viel besser ist als sein Vorgänger und das deutlich macht, dass Klargesang im Metal manchmal apselut nicht notwendig ist. Außer eben zwischendurch von Jae Matthews natürlich.