Von Matthias Bosenick (22.12.2013)
Anders als gewohnt und damit als erwartet präsentiert sich Signe Høirup Wille-Jørgensen in ihrer Solo-Inkarnation Jomi Massage auf ihrem strenggenommen erst dritten Album „Primitives“. Die früheren Noise- und Indie-Rock-Ausbrüche bleiben aus, sie zieht sich in eine Kammer zurück, und das sowohl musikalisch als auch inhaltlich. „Primitives“ ist karg, klaustrophobisch, schwarz und, fast wie ein Kontrapunkt dazu, doch ausgesprochen kraftvoll. Im Zentrum der Aufmerksamkeit liegt ganz klar Jomis Stimme. Wer nun zu Weihnachten leicht in düstere Stimmungen gerät, sollte sich das Album vielleicht besser erst im Frühjahr zulegen, wenn wieder die ersten Häschen über die bunten Blumenwiesen hüpfen. Alle anderen dürfen sich von Jomi in den Abgrund mitreißen lassen.
Das Piano ist das dominante Instrument, streckenweise gar das einzige. Nur streckenweise: Die Ukulele ertönt mal, und es gibt ein paar verfremdete Instrumente. Das Tempo ist angemessen gedrosselt, was allerdings keine Kuschelrocksongs ergibt, sondern karge, dunkle Blicke in die Seele, manchmal auch nur schwer gebremste Wutausbrüche. So rückt Jomis Stimme zwangsläufig ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Stimme ist so kraftvoll, wie es zeitgenössische Frauenstimmen kaum sind, also nicht so gepitcht wie die von Adele und Amy, sondern eher so durchdringend wie bei deren Vorbild Shirley Bassey, nicht so elfengleich wie die von Björk, Stina Nordenstam oder ihrer Freundin Henriette Sennenvaldt von Under Byen, nicht so aufgekratzt wie die von Kate Bush oder Tori Amos. Wenn schon eine Dänische Parallele, dann ist es eher die dunkle Färbung der Stimme von Gry Bagøien, die als Vergleich herhalten darf. Vielmehr erinnert Jomis stimmliche Ausdrucksstärke an New-Wave-Sängerinnen wie Souxsie Sioux, Diamanda Galás oder Lene Lovich. Selbst wenn Jomi ins Schräge kippt, bleibt ihre Stimme fest; es sind dann eher die Melodien oder die über den Gesang geschichteten Stimmeffekte, die das Schräge ausmachen. Jomi hat in jedem Falle eine bemerkenswerte, eindrucksvolle, dunkle Stimme und eine kraftvolle, selbstbewusste, attraktive Art zu singen.
Ausgerechnet das in Sachen musikalischer Wärme und Gesangsmelodie noch am ehesten in Richtung Wohlklang, Atmosphäre oder gar Pop tendierende Stück „A Fake Start Is Life“ – wohl nicht zufällig auch die Single des Albums – hat den abgründigsten Text: „I Tell myself: ‚The best is yet to come – we all shall come from hell‘.“ Um dann bis zum Lied-Ende die Worte „From hell“ immer durchdringender und darüber gemixt verlangsamt-grunzend zu wiederholen. Man möchte gar nicht im Detail wissen, was Jomi alles so im Leben hat erleben müssen. Ihre ersten Tondokumente veröffentlichte sie 1994 mit der Band Murmur. Da war sie zwar nicht allein für die Texte zuständig, aber – in dem Stück „Enjoy“ heißt es: „What can I enjoy how can I be happy / You still got your two legs you walk maybe / I’ll cut them off but then what would I / Lick maybe I shoul // I can fuck you in your sleep / Can I fuck you in a coma / Hit you hard in the head: Enjoy“. Ja, hüpfende Kaninchen findet man woanders.
Murmur war nur die erste Etappe in Jomis bald 20-jähriger Karriere und nahm schon den ebenfalls dunklen Indie-Noise-Rock vorweg, den sie später mit ihrer Band Speaker Bite Me und noch auf ihrem Solo-Debüt „Aloud“ auslebte. Zwischendurch veröffentlichte sie mit Luke Sutherland von Long Fin Killie unter dem Namen Bows zwei Alben mit Trip-Hop-Downbeat-Electro, und ebenjener Sutherland steuert auf „Primitives“ die verfremdeten Instrumente bei, ohne das Produkt in Richtung Bows gehen zu lassen. Aber er war ja auch schon am Vorgängeralbum „From Where No One Belongs“ beteiligt. Obwohl, Vorgängeralbum war eigentlich „Dråbers Logik“, eine Kollaboration mit der Lyrikerin Anne Lise Marstrand-Jørgensen, deren Ergebnis Jomi selbst als „meditative evil new age“ bezeichnet.
Was nun die Songs betrifft, so bietet Jomi zwar keine leichte Kost. Aber Qualität, und zwar kontinuierlich. Man kann sich alles bedenkenlos zulegen, woran sie beteiligt ist, und sich nur wundern, dass so jemand international so unentdeckt bleibt. Aber selbst in Dänemark ist sie eher ein Nischenphänomen, dort aber ein gefeiertes und in Kunstkreisen begehrtes. „Primitives“ gibt es auf Vinyl mit Bonus-CD, es liegen DIN-A-4-Zettel mit Texten bei, die fast so gestaltet sind wie die jüngsten Underworld-Produkte. Das Album ist nur 33 Minuten lang, aber die Länge sagt ja bekanntermaßen nichts über die Qualität aus.