Dirkschneider – Balls To The Wall Reloaded – Reigning Phoenix Music 2025

Von Guido Dörheide (05.03.2025)

Dirk Schneider? Dark Schneider? Null Null Schneider? Dee Snyder? Ha – Treffer! Letzterer wirkt tatsächlich auf Udo Dirkschneiders aktuellem Album „Balls To The Wall Reloaded“ mit – der Twisted-Sister-Frontmann unterstützt Udo kongenial auf dem 2025er Remake von „Losers And Winners“. Eigentlich gar nicht mal unbedingt der stärkste Track auf dem 1983er Nachfolger des Accept-Überhammers „Restless And Wild“, bekommt „Losers And Winners“ durch den abwechselnden Gesang Dirkschneiders und Snyders (hihi, Dirk Snyder, hihi, prust!) eine ganz neue Dynamik aufgedrückt, die beiden singen zusammen, als hätten sie nie etwas anderes getan, und der satte Sound der zeitgenössischen Produktion sowie die in keinster Weise zu beanstandende Instrumentenbeherrschung der aktuellen U.D.O.-Besetzung Peter Baltes (Ex-Accept, Bass), Andrey Smirnov (Gitarre), Dee Dammers (Gitarre) und Sven Dirkschneider (Schlagzeug) tragen ihren Teil dazu bei, dass ich nur zu gerne bereit bin, mich mit dem stets im Schatten von „Restless And Wild“ gestanden habenden „Balls To The Wall“ zu beschäftigen. Quasi das „Iron Fist“ von Accept? Natürlich nicht, denn obwohl das 1983er Accept-Album vom Vorgänger überstrahlt wird (was angesichts von „Fast As A Shark“ und „Princess Of The Dawn“ auch nicht anders sein kann), ist es ein richtig feines Bravourstück des deutschen Heavy Metals, das den Vergleich mit seiner am vergangenen Freitag erschienenen Rewiederneueinspielung nicht zu scheuen braucht.

Ich mache mir bei solchen Re-Releases immer eine Playlist in meinem Clementine-Musikabspielprogramm, in der das neu eingespielte Album und das Original sich dergestalt abwechseln, dass ich immer zuerst die neue Version des jeweiligen Songs und dann das Original hören kann, und dabei kommt „Balls To The Wall“ richtig gut weg (auch – Spoilerwarnung – wenn sich das Remake durchaus besser anhört, aber das Original ist eben doch das Original). Nicht nur Udos Stimme war schon 1983 Weltklasse (sie ist aber sehr gut gealtert und Udo kann sie mit Anfang 70 professioneller und gezielter einsetzen als vor über 40 Jahren), das überaus trocken klingende Schlagzeug von Stefan Kaufmann trägt viel zum Charme des ursprünglichen Eier-an-die-Wand-Albums (ein Titel wie geschaffen dafür, am unmittelbar bevorstehenden Osterfest geworshipped zu werden) bei (wobei aber Udos Sohn Sven auf der aktuellen Version mit seinem Schlagzeugspiel ebenfalls absolut glänzt), und bei der Gitarrenarbeit von Accept-CEO Wolf Hoffmann war schon auf „Balls To The Wall“ zu erkennen, dass er sein Instrument seit mindestens dem Mittelalter beherrscht und bereits 1983 so manche Bestandteile in seinen Soli verwurschtete, die er dann 1985 auf „Metal Heart“ zur Perfektion trieb. Klar, nur Wolf Hoffmann ist Wolf Hoffmann, aber die beiden U.D.O.-Gitarristen Smirnov und Dammers sind richtig klasse, und auch wenn sie die Hoffmann-Riffs und -Soli sich nicht selber ausgedacht haben – saugut spielen können sie sie.

Nun aber zur Track-by-Track-Rewiev, eine Kunstform, die „Balls To The Wall Reloaded“ mehr als verdient hat:

Udo hat sich für jeden Song eine:n Duettpartner:in gesucht, die/der dem jeweiligen Stück einen neuen Aspekt verleiht, manchmal verzückt, manchmal nicht ganz hinhaut, aber unter dem Strich immer eine gute Wahl ist:

Auf Stück 1, dem Titelstück, ist es Joakim Broden von der von mir verschmähten und ungeschätzen WK1-Metal-Formation Sabberton aus (wie auch sonst?) Schweden. Aber scheiß die Wand an – Broden macht seinen Job wirklich verdammt gut und der ständige Wechsel zwischen seinem eher tiefen und pathetischen Gesang und Udos charakteristischem Gekeife stimmt die Hörenden super auf alles ein, was danach kommt. Und während Hoffmanns Original-Soloarbeit dadurch brillierte, dass sie neben herrlichem Gequietsche und Gekreische dann vom „Oooh, hohoooho hohooooo“-Chor der restlichen Bandmitglieder eingefangen wurde, ertönt auf dem Remake ein Gitarrensolo, das ap-se-lut von „Metal Heart“ stammen könnte. Soowas Schönes! Das „Oooh, hohoooho hohooooo“ ist hier viel zurückgenommener und lässt dem Solo mehr Raum, eins zu null für die neue Version! Und murmeln und raunen kann Udo immer noch wie damals, und auch danach wieder ins Schreien zu verfallen – eine Schande, dass Accept Udo in den 80ern ausrangierten, weil er vermeintlich ihrem kommerziellen Erfolg im Weg stand. Der Charme und die Originalität der ersten Accept-Alben speisten sich primär aus dem Songwriting, dem Zusammenspiel der Musiker und der Stimme Udo Dirkschneiders und nur sekundär aus der Virtuosität eines Wolf Hoffmann, und genau das wird deutlich, wenn man sich die Neueinspielungen anhört, die auch ohne Hoffmann annähernd denselben Zauber entfalten. Wobei ich Hoffmanns Großartigkeit hier aber keineswegs infrage stellen möchte: Hört Euch das Original einfach auch nochmal an und lasst Euch begeistern.

Auf „London Leatherboys“ – damals wie heute wunderbar eingeleitet von Baltes’ Bass – hat sich Dirkschneider den Saxon-Frontmann Biff Byford an seine Seite geholt, der dann auch gleich das Stück einleitet und nach den ersten Zeilen von Dirkschneider begleitet wird. Die beiden Stimmen klingen ähnlich kreischend, aber Byford tönt etwas tiefer und dadurch weniger halbstark anmutend und sie ergänzen sich auf das Vortrefflichste.

Beim nächsten Stück war ich sehr, sehr gespannt, ob sich das Gesangsduett ebensogut ausgeht wie zuvor, denn Udos Duettpartner auf „Fight It Back“ ist Kreator-Gitarrist und -Frontmann Mille Petrozza, der zwar ebenfalls durch eine keifende Gesangsästhetik auffällt, aber mit deutlich mehr Gewalt und Brutalität als Udo. Aber was soll ich sagen, das Ganze klappt hervorragend. Mille beginnt, irgendwann fällt Udo ein, dann singen sie abwechselnd, dann wieder zusammen und es klingt großartig.

Danach übernimmt Schweden das Feld – „Head Over Heels“ startet mit dem supertollen Bass/Gitarre-Zusammenspiel von Baltes und Smirnov/Dammers, das sich dann herausbildende Riff ist lässig wie kaum etwas und dann… we’re leaving together. But still it’s farewell. Aber Moment – wir sind hier ja gar nicht bei Europes „Final Countdown“, obwohl sich Nils Molin, der Sänger der schwedischen Power-Metal-Band Dynazty fast so anhört. Sein in meinen Augen ein wenig kitschig anmutender Gesang wird aber von Udo gut eingefangen, im Wechsel mit seiner ikonischen Reibeisenstimme macht sich Molin wirklich gut.

Jau, und dann ein nochmal lässigeres Gitarrenintro und auch auf „Losing More Than You’ve Ever Had“ lässt Udo dem Gast den Vortritt – ein netter Zug, der sich wie ein roter Faden durch das Album zieht – und der ist dieses Mal Michael Kiske, die Luftangriffssirene auf dem Dach der Hamburger Power-Metal-Institution Helloween, das kann ja was werden! Aber scheiß was, Kiske singt furchtlos los und das passt super zum einleitenden Riff (und ja, als alter „Keeper“-Fan mag ich Kiskes Gesang sehr gerne), wird dann gleich von Udo abgelöst und zeigt beim Refrain, welche Power er in der Stimme hat, dann wieder mal Kiske, mal Dirkschneider, mal beide zusammen und das Ganze ist eine wahre Festivität. Haben ja auch eine ähnliche Frisur, die beiden.

Danach wird es dann spannend: Mit Ylva Eriksson von den Brothers Of Metal teilt sich auf „Love Child“ erstmals auf dem Album eine Frau den Gesang mit Udo. Aber auch das haut bestens hin: Ylva beginnt, wird nach der ersten Zeile von Udo abgelöst, dann singen beide zusammen und dann wieder im Wechsel. Hammer, welches Gespür hier für die Auswahl der Duettpartnerin an den Tag gelegt wurde, von Udo und Ylva würde ich mir gerne ein komplettes Album wünschen, vorn mir aus könnten sie darauf auch gerne Abba oder Roxette covern, Hauptsache, die restliche U.D.O.-Besetzung ist ebenfalls mit von der Partie.

Anschließend kommt der in meinen Augen musikalische Tiefpunkt von „Balls To The Wall“, nämlich „Turn Me On“, bei dem Udo von Danko Jones unterstützt wird. Das passt. Danko Jones ist durchschnittlich, aber mit Schmackes, und ebensolches trifft auch auf die Neuinterpretation von „Turn Me On“ zu. Auch hier der Tiefpunkt, macht aber dennoch Laune, nicht zuletzt wegen des Gitarrensolos.

Anschließend dann „Losers And Winners“, das ich schon weiter oben abgekündigt hatte; nichts mit Dee Snider am Mikro wird jemals schlecht sein, und His Twistedsisterness und Udo gemeinsam hauen es einfach raus, zwei sympathische Ikonen, die der Welt nichts beweisen müssen und es deshalb mit wachsender Begeisterung immer wieder tun.

Den nächsten Co-Singer finde ich dann richtig interessant, denn es ist Tim „Ripper“ Owens, der mir schon auf den Nicht-Halford-Veröffentlichungen von Judas Priest sehr gut gefallen hat, den ich aber anschließend komplett aus den Augen verloren hatte. Auf „Guardian Of The Night“ liefert er sich mit Udo Dirkschneider ein packendes Duell, beide keifen um die Wette und harmonieren im Refrain prächtig miteinander. Eine gute Wahl, den Ripper hier mit reinzunehmen, finde ich.

Die Partnerwahl für das das Album abschließende und wunderschöne (sorry, Stratmann) „Winter Dreams“ hingegen war alternativlos: Ohne Doro Pesch sollte sich die Neuaufnahme eines Metal-Klassikers wie „Balls To The Wall“ nicht gestalten lassen, zumal Doro ja auch mit „Burning The Witches“ im Folgejahr des Erscheinens von „Balls To The Wall“ ihre Karriere begründete und somit auch ein ziemliches Urgestein des deutschen Heavy Metal darstellt, und dazu ein überaus begabtes und charismatisches. „Winter Dreams“ als solches ist ja schonmal ein ziemlicher Hammer, Hoffmanns Akustikgitarre zu Beginn des Stücks begeisterte damals und tut es in der Smirnov/Dammers-Version auch heuer, 1983 zeigte Dirkschneider, dass er außer dem für ihn typischen Reibeisengekreische auch ruhigeren Gesang beherrscht, dieser klingt allerdings immer noch nicht nach schwedischem Raumfahrtrock, sondern eher nach Lemmy von Motörhead, wenn dieser Balladen singt (ja, Christof – „1916“ von Motörhead IST besser gesungen als die Coverversion von Sabbaton, finde ich zumindest), also ist es mal an der Zeit, eine schöne Accept-Ballade mit einer schönen Stimme zu vertonen, und wer könnte das besser tun als Doro Pesch? Keine Ahnung, vielleicht Sabina Classen oder Angela Gossow, beide würde ich Dirkschneider jedenfalls gerne als Duettpartnerinnen ans Herz legen, aber Schwamm drüber: Doro macht den Job sehr gut. Wie gewohnt darf sie beginnen, wird aber gleich nach der ersten Zeile von Udo abgelöst, der sehr gefühlvoll (was er wirklich kann!) zu Werke geht, gleichzeitig geht die Band ähnlich behutsam vor, als gelte es, ein zeitgenössisches Niedecken-Album zu begleiten (das ist jetzt positiv gemeint, ich verehre Niedecken sehr), und der Wechsel im Gesang zwischen Doro und Udo klappt ganz hervorragend, vor allem die dritte Stophe („The world seemed so clear, like a wonderful diamond“ etc.), in der Pesch und Dirkschneider sich Zeile für Zeile abwechseln, ist bezaubernd wie Sau. Das Original war schon superschön, die Neuaufnahme ist es allemal, allein ich vermisse den Zauber des Sounds von damals – irgendwie unter einer angemessenen Patina mit schön viel Hall verborgen, aber dennoch 5 Sterne für die neue Version.

Das Hören von „Balls To The Walls Reloaded“ lässt den sich Rezensenten in Ehrfurcht zum einen vor der Großartigkeit der ursprünglichen Accept-Kompositionen und zum anderen vor der Tatsache, dass Udo Dirkschneider seit nunmehr 38 Jahren in verlässlicher Regelmäßigkeit verdeutlicht, dass er es niemals nötig hatte, seine Kunst mit Hilfe des Etiketts „ehemaliger Sänger von Accept“ zu verkaufen, verneigen – Udo steht immer für sich selbst und ist in meinen Augen der größte deutsche Metal-Musiker aller Zeiten. Und Hammer, der Mann ist erst 72 Jahre alt, er wird uns also höchstwahrscheinlich noch viele Jahre lang mit toller Musik begeistern.