Was meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Jetzt ist schon wieder was passiert…

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin hat alle Bücher von Wolf Haas gelesen. Auch die Nicht-Brenner-Romane. Das letzte schaute aus wie in Packpapier eingewickelt. Darauf prangte ein verrutschter roter Stempelaufdruck: „Eigentum von Wolf Haas“. Und Eigentum, oder genauer, dasjenige, das man nie besitzt, dem man hinterherhechelt, darum geht’s.

Im Zentrum steht die Mutter. Sie habe es schwer gehabt im Leben, das musste der Sohn sich jahrzehntelang anhören, das war die Litanei der Familie. „Den ganzen Tag nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ immer wiederholt, damit es sich auch richtig ins Hirn der Kinder einprägt.

Aber dann passiert etwas, was Wolf Haas, den Erzähler, völlig durcheinanderbringt: Die im Sterben liegende Mutter bittet ihren Sohn, bei ihrem verstorbenen Mann anzurufen, um ihm zu sagen, ihr gehe es gut: „Ich war angefressen. Mein ganzes Leben hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen. Wir waren die, denen es schlecht ging.“

Diese Lüge setzt die Haas’sche Textmaschine in Gang. Wolf Haas will schneller schreiben als der nahende Tod, er schreibt gegen das Sterben der Mutter an, solange er schreibt, solange er sich Klarheit verschaffen muss über die Mutter, läuft die Frist.

Aber im Gegensatz zu berühmten Vorbildern wie 1001 Nacht, in der es der Literatur gelingt, den Tod aufzuschieben, verliert Wolf Haas dieses Rennen. Die Mutter stirbt. Und gleichzeitig verwandelt sich der scheltende und wütende Sohn in einen, der Zeugnis ablegt, in einen, der seiner Mutter ein Denkmal setzt: ihrem widerborstigen Charakter, ihrer Menschenfeindlichkeit. Oder wie es die Wirtin des Orts nach dem Tod der Mutter sagt: „Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt.“

Wolf Haas (*1960) ist ein Schriftsteller-Gigant im Sinne satirischer Gesellschaftskritik, Spannung und lakonischen Witzes. Die Brenner-Romane und die Verfilmungen mit dem noch größeren Giganten Josef Hader in der Hauptrolle unter der Regie des gigantomanischen Wolfgang Murnberger sind ein Grund, warum meine Freundin kurzzeitig überlegte, nach Oberösterreich auszuwandern, wenn die Nazipartei AfD in unserem Heimat-Freistaat an die Macht kommt.

Aber auch die anderen Romane „Das Wetter vor 15 Jahren“ (2006), eine Liebesgeschichte in der Form eines Interviews zwischen einer Literaturkritikerin und einem fiktiven Autor als er selbst, „Verteidigung der Missionarsstellung“ (2012) und „Junger Mann“ (2018), der von ihm in der Pubertät handelt, der unbedingt abnehmen will, sind Perlen der literarischen Unterhaltung.

Wendungen aus seinen Büchern zu benutzen, wie „Jetzt ist schon wieder was passiert“, oder „Frage nicht“ sind im Alltag meiner Freundin nicht mehr wegzudenken. Ich rege hiermit an, „Wolfhaasisch“ mit in diesen Kanon aufzunehmen. Steht für: Launiger Erzähler, unvollständige Sätze, Wiener Schmäh und seitenlange Abschweifungen.

Lustig samma Puntigamer,

Onkel Rosebud