Was meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Die Abenteuer des Werner Holt

Von Onkel Rosebud

Dieter Nolls Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ war Pflichtlektüre in der 10. Klasse des DDR-Schulsystems und wurde damals trotzdem von so ziemlich allen jungen Erwachsenen freiwillig gelesen, weil es vordergründig ein Abenteuerroman ist und erst im Abgang ein Antikriegsroman.

Die Protagonisten des Romans heißen Werner Holt, Gilbert Wolzow, Sepp Gomulka, Peter Wiese und Christian Vetter. Die Handlung beschreibt, wie diese Gruppe 16-jähriger Jungen die Schule beendet und sich freiwillig zur Wehrmacht meldet. Sie wollen ein Abenteuer erleben und während des Krieges zu richtigen Männern werden. Dem sich anschließenden Sog des Bösen kann man sich als Leser nicht entziehen. Aufrichtigkeit kann tödlich sein, aber die Haltungen der einzelnen sind so variantenreich wie das menschliche Wesen überhaupt. Was ein Peter Wiese aufgrund schlechter körperlicher Konstitution und musikalischer Ambitionen vielleicht von vornherein verabscheut, wird für einen Gilbert Wolzow zum Lebenszweck: Kampf um des Kampfes willen. Soldatenehre ist das geheiligte Wort, dem bedingungslos Menschenleben geopfert werden, einfach, weil ein Soldat eben bis zur letzten Minute kämpft und nicht aufgibt.

Aus irgendwelchen Gründen habe ich dieses Buch nie vergessen und dann als Erwachsener erneut gelesen, um dieser Faszination noch einmal auf den Grund zu gehen. Erst dann habe ich begriffen, dass Noll uns in diesem Buch den Wechsel von totaler Kriegsbegeisterung zu totaler Ernüchterung zeigt. Jedenfalls in der Figur des Werner Holt. Denn hier werden viele Facetten von jungen Männern in dieser Zeit gezeigt. Absolute Fanatiker, die sich letztlich sogar gegen ihre eigenen Leute wenden, Kriegsteilnehmer, die auf diese Art endlich auf Anerkennung bei Gleichaltrigen hoffen, oder Verweiger, Künstler, Feingeister, die niemals auch nur in eine Rauferei verwickelt waren und nun eine Waffe in die Hand nehmen sollen. Das Buch hat aus mir einen lebenslangen Antifaschisten gemacht und das nicht nur wegen der „Sägemühle-Szene“.

Dieter Noll, geboren am Silvestertag 1927 in Riesa, gehörte zu jener verführten und am Ende betrogenen Generation, die ihr Leben sinnlos im Kampf um Hitlers untergehendes Drittes Reich aufs Spiel setzten. Mit seinem 1960 erschienenen Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ sprach Noll Millionen aus dem Herzen. Bis heute. Leider wurde er DDR-Apparatschik und nach der Wende zu Recht vom deutschen Schriftstellerverband auf die Liste der unerwünschten Ost-Autoren gesetzt. Er starb 2008.

Onkel Rosebud