Von Matthias Bosenick (13.01.2025)
Was für ein obskur glitzernder Abgrund tut sich denn da wieder auf: Francesco „Fra“ Zedde ist ein in Utrecht lebender Italiener aus Jesi, der sich in unzählbaren musikalischen Projekten austobt, die auch noch komplett unterschiedlich ausgerichtet sind. Für „Fickle“, sein drittes Album als Tacet Tacet Tacet, reiste er nach Island, um dort Field Recordings zu erstellen, die die Grundlage für diese abstrakte Musik ergeben. Abstrakt, aber zugänglich: Allein die Rhythmen betreffend könnte man „Fickle“ zwischen Jazz und IDM anordnen, die namensgebende Stille (Tacet) liegt allem trotzdem inne. Kunstmusik, die Freude bereitet.
So richtig ein Solo-Album ist „Fickle“ indes nicht: Die Hälfte der sechs Tracks erarbeitete Bruder Zedde mit Jacopo Mittino, einem Harsh-Noise-Musiker, der als 52-Hearts Whale die Gehörgänge freiräumt. Gleich der Auftakt „Gamble“ ist einer davon: Im Fokus steht das Schlagzeug, groovig-klickernd gespielt wie von Evelyn Glennie. Punktiert gesetzte, fiebrige Samples mit dezidierten Rückwärtseffekten lugen dazwischen hervor, ändern aber nichts daran, dass einem das Stück angenehm still vorkommt.
Wie Meditationsmusik erscheint anschließend „Dissimulation“, mit einem hohen Klimpern wie in „The Four Horsemen“ von Aphrodites Child und mit Soundscapes wie aus einem Gruselfilm. Dieser Track hat weder Melodien noch Rhythmen, aber einige elektronisch anmutende Glitches. Die mausern sich in „Pertinence“ zu einem Neunziger-Nuller-IDM mit einem zerbrochenen, aber greifbaren Rhythmus; dem Albumtitel stünde auf diesen Track bezogen ein zusätzliches R für „Frickle“ gut zu Gesicht. Man denkt an Autechre oder Scorn und fühlt sich heimisch. Für „Unfocus“ tritt Mittino wieder ans Pult und kombiniert die IDM mit den Gruselsoundscapes. So auch in „Welter“, wieder ohne den Partner: Im Hintergrund erklingt dazu eine abstrakte Melodie und der Rhythmus hat etwas von Irish Folk Dance. Im Verlauf erinnert der Sound an die elektronischeren The Notwist und an Aphex Twin. Zuletzt, abermals mit Mittino, erzeugt Zedde mit einer gelegentlich angeschlagenen Klaviertaste eine hallende Leere, in die glitchige Störgeräusche eindringen. Aus denen wird ein elektronisches Zirpen, und plötzlich befindet man sich inmitten eines wunderschönen Popstücks, weil ein warmes Schlagzeug das Zirpen und das Klavier zusammenklammert und ins sonnige Leben mitnimmt.
Zeddes erstes Album als Tacet Tacet Tacet erschien 2015, vor exakt zehn Jahren, und zwar der Soundtrack „Embodiment“ zu einem Film von Francesco Matteo Ceccarelli. 2016 veröffentlichte er als Tacet Tacet Tacet mit The Star Pillow und Angelo Rondine die live aufgenommene Improvisation „Cuncurrence“ und mit M.U.G. die EP „Parade Split“. Das zweite Album „Perpetual“ erschien 2017, das Split-Album „Untitled“ mit Bartolomei 2020, dazu verlegte er sich auf andere Projekte. Zum Beispiel das Noise-Electro-Hip-Hop-Projekt Tonto, zusammen mit Simone Vassallo das Percussion-Drum-Projekt Lampredonto, an dem sogar Mark Stewart von The Pop Group vor seinem Tod mitarbeitete, das Impro-Electro-Projekt Suikeroom, das Noise-Duo Kyoot mit Cate Hops, das Anti-Stereo-Projekt MonoAgainstCapitalism, die Indie-Band Agalma, das Projekt Alaskan Pipeline, an dem Mittino bereits beteiligt war, so wie DRKHN eine Kollaboration aus Tonto und 52-Hearts Whale darstellte, als Valadja Petrescu das Duo Diarrheal Blast, das Rock-Trio A.N.O., und da sind wir im Jahr 2012 und vermutlich am Anfang des musikalischen Weges von Bruder Zedde. Angesichts des kunstvollen „Fickle“ offenbar noch ein großer Berg an spannender Musik zum Nachhören.