Albireon – Effemeridi – Toten Schwan Records 2024

Von Matthias Bosenick (08.01.2025)

Über 25 Jahre alt ist das Neofolk-Projekt Albireon aus der Emilia-Romagna, „Effemeridi“ dürfte das rund zehnte Studio-Album sein, abgesehen von haufenweise Split-Veröffentlichungen und Compilations. Auf diesem Album bleibt das Quartett dem Genre treu gewogen: kein Schlagzeug, hauptsächlich monoton gespielte Akustikgitarre, gehauchte, bisweilen chorartige Gesänge, leichter Folklore-Einschlag, manches halbwegs exotische Instrument wie Flöte oder Streicher eingesetzt und alles erheblich abgedunkelt. Angelehnt an die Ephemeriden, der in der Antike begonnenen Sammlung astronomischer Daten, tragen Albireon ihr Wissen weiter; das ist gottlob nicht so dunkel, wie es die Szene an sich vorgibt.

Auch wenn „Effemeridi“ vom ersten Ton an eindeutig im Neofolk zu verorten ist, vermeiden Albireon grufttypischen Kitsch und Plakativität. Sie gehen sehr zurückhaltend zu Werke, sie durchstoßen nie die Schallmauer, weder in Tempo noch in Intensität. Die Akustische gibt mit monotonem und zartem Anschlag die Rhythmen vor, auf denen sich die Songs zaghaft bewegen. Selbst der Gesang ist wie aus Distanz aufgenommen, als stünden die Singenden – nicht nur der männliche Haupt-Gesang, auch die ihn begleitenden männlichen und weiblichen Chorstimmen – etwas entfernt vom Mikrofon. Mehr Präsenz haben daher die Instrumente, die darüber hinaus zum Einsatz kommen, eben Flöte, Geige oder eine lediglich einzelne Töne anschlagende E-Gitarre.

Die so entstehende Stimmung ist barock oder mittelalterlich, allerdings dunkel gefärbt, also so etwas wie gruftig, wie es sich für den Neofolk ja auch gehört. Alles hat trotz der Zurückhaltung eine durchdringbare Klarheit, nichts verrauscht oder interferiert sich, und doch reicht der Blick nicht sonderlich weit, weil man sich ja in einem abgedunkelten Raum befindet. Oder in einer abgedunkelten Welt, schließlich berichtet die Band, dass das Album bei Spaziergängen im Apennin entstand, als Folge des Wunsches nach Selbstreinigung und erhöhtem Umweltbewusstsein, und nun eine Art „Tagebuch der inneren Forschung“ darstellt, in dem der Duft von Regen, das Durchqueren von Wäldern, Wanderungen über vergessene Pfade durch üppige Moore und die Ruhe des Strandes bei golden untergehender Sonne wichtige Positionen einnehmen. Das klingt wiederum gar nicht nach Neofolk, oder?

Schließlich ist der dümmliche Okkultismus- und Satanskram noch das geringste Problem, mit dem sich der Neofolk seit den Achtzigern herumschlägt: Eine Nähe zu Nazithemen und –ideologien rückte die Szene aus dem rechten Licht heraus ins rechte Licht. Gottlob scheint sich davon bei oberflächlicher Betrachtung nichts bei Albireon niederzuschlagen, vielmehr stehen mindestens auf „Effemeridi“ die ebenfalls szenetypischen Naturthemen im Vordergrund, obschon die Italiener bereits mit Tony Wakeford von Death In June zusammenarbeiteten, eben einer jener kontroversen Bands.

Doch haben Albireon laut eigener Aussage andere Inhalte im Fokus, die akustische Poesie italienischer Songwriter etwa sowie die rein musikalische Anlehnung an Neofolk und Artverwandtes wie Industrial oder Dark Ambient. Als deutliche Abgrenzung zu Nazis könnte folgender Hinweis gedeutet werden: „Albireon ist unser zerbrechlicher Schutzschild gegen die tiefen, schrecklichen Schatten der schwarzen Sonne und unsere endlose Hoffnung im Licht des Tages.“

Auf „Effemeridi“ besteht Albireon aus: Carlo Baja-Guarienti an den Keyboards, Marta Bizzarri mit Flöten, klassischen Instrumenten und Gesang, Davide Borghi mit Gitarre, Bass, Melodica und Gesang sowie Stefano Romagnoli mit Loops und Samples. Das erste Demo-Tape „Where Free Birds Sleep“ brachten Albireon 1999 noch in Duo-Besetzung aus Borghi und Baja-Guarienti heraus, seitdem kamen weitere Mitmusizierende hinzu und stapeln sich die Veröffentlichungen. Zu „Effemeridi“ lässt es sich winterlich einkuscheln, es ist so dunkel wie die Tage in dieser Zeit und hält trotzdem warm.