Von Matthias Bosenick (06.01.2025)
U2 punkten mal wieder mit alten Aufnahmen: „Ho To Re-Assemble An Atomic Bomb“ ist eine Sammlung von Demos und Raritäten aus der Zeit des nunmehr 20 Jahre alten, vorletzten guten Albums „How To Dismantle An Atomic Bomb“, im Zuge von dessen verkaufsträchtig bonusbestückter Wiederveröffentlichung diese zehn Tracks exklusiv von den Record-Store-Day-Ableger Black Friday als separate LP in den inhabergeführten Plattenhandel kommen, und das auch noch schon in schwarzrot marmoriert. Die Platte lohnt sich, weil die Stadionrocker U2 um 2004 – anders als um 2000 oder ab 2014 – beseelt, inspiriert und motiviert zu Werke gingen.
Zehn Songs, 40 Minuten, „Re-Assemble“ kann man gut als vollwertiges Album betrachten. Dabei gar nicht mal so als die Resterampe, die es ja eigentlich ist, selbst in Outtakes formulierten die vier Iren catchy, detailreich, mitreißend. Gut, man bekommt hier nicht die Demos wie aus der vergessenen Schublade gefallen; die die Neuveröffentlichung überarbeiteten und ergänzten U2 das gefundene Material, was nicht schlimm ist, schließlich hätten sie vor 20 Jahren damit ebenso verfahren. Naja, nur als 20 Jahre jüngere Entität. Zudem erfuhren auch einige bereits veröffentlichte Songs ein minimales Update und rechtfertigen so die Anschaffung dieser LP.
Zu den Songs: „Picture Of You (X+W)“ hat die zu dem Zeitpunkt nicht selten von U2 eingesetzte Bratzgitarre, dazu Aufzählstrophen und einen Uptempo-Refrain. Zudem birgt dieses Outtake die Zeile mit dem Titel des Haupt-Albums: „How To Dismantle An Atomic Bomb“, damit sind U2 noch frecher als jene, die einen Titeltrack erst auf dem Folge-Album unterbringen (The Cassandra Complex, „The War Against Spleep“ auf „Sex & Death“) oder als B-Seite auf einer Single verstecken (OMD, „Sugar Tax“ auf „Then You Turn Away“). Das Stück ist bereits veröffentlicht, mal als „Xanax And Wine“ auf der Fanclub-Compilation „Unreleased & Rare“ aus dem Jahr 2004, also einer Art Destillat aus der nur digital veröffentlichten Compilation „The Complete U2“, sowie auf „Medium, Rare & Remastered“ aus dem Jahr 2009, mal als „Fast Cars“, zum Beispiel als Japan-Bonus zu „How To Dismantle An Atomic Bomb“ sowie im Jacknife Lee Remix als B-Seite zu „All Because Of You“, wiederverwertet auf der Compilation „Artificial Horizon“.
„Evidence Of Life“ mit dem dudeligen Synthie-Thema zur Bratzgitarre in den Strophen und dem milderen Refrain kehrt das Laut-Leise-Schema um und wäre damals in der Indie-Disco bestimmt nicht unangenehm aufgefallen. Geht gut ab, der Song.
„Luckiest Man In The World“ eine dieser U2-Balladen mit großen Gesten und noch größeren Gefühlen, hier als umbenannte Studio-Variante des exklusiven Songs „Mercy“ der längst unbezahlbaren „Wide Awake In Europe“-Live-EP aus dem Jahr 2010.
„Treason“ hat einen minimalistischen mittelamerikanisch-sommerlichen Shuffle-Rhythmus mit Call-and-response-Anteilen, in den bald eine Bratzgitarre, ein wuchtiges Schlagzeug und ein aufgebracht sprechsingender Bono einbrechen. Brian Eno und Jacknife Lee spielen Synties, Daniel Lanois bedient Shaker. Eines der besten Stücke auf diesem Album.
„I Don’t Wanna See You Smile“, die zweite himmelgreifende Ballade, durch die man einfach durchmuss. Bekannt als „Smile“ auf der genannten „Unreleased & Rare“-Compilation, auf der ohnehin bereits einiges aus den „Atomic Bomb“-Sessions zu hören war.
„Country Mile“ mit klassischer The-Edge-Gitarre, schönem Chorgesang und rockradiotauglichem Rhythmus, eine eher gefällige Nummer. Fügt sich nett in den Fluss des Albums ein und überrascht nicht damit, vorab digital als Single herausgegeben worden zu sein.
„Happiness“ mit fast hardrock-tauglichem Riffrhythmus, Kopfnicker kurz vor Headbanger, mit geilem Wahwah-Solo und einigen Soundspielereien hat einen ungewöhnlich hohen Energieausstoß, ebenfalls ein Highlight dieser Sammlung und ebenfalls ein Stück, das die Nuller-Indie-Disco offen empfangen hätte.
„Are You Gonna Wait Forever?“ wieder mit geshuffeltem Rhythmus in den Strophen und radiorocktauglichem, hymnischem Refrain; man kennt es als B-Seite der „Vertigo“-Single.
„Theme From ‚The Batman‘“ hat partiell die Tonfolge von „A Forest“ und einen synthetischen Beat, doch mit The Egdes hoch gespielter Gitarre nicht das Dunkle von The Cure, zumal sich der Track in den anderthalb Minuten kurz vor Schluss noch etwas steigert. Offenbar ist dies die überarbeitete Fassung des Titeltracks zu einer Zeichentrick-TV-Serie, den The Edge 2004 generierte. Kurz, aber geil.
„All Because Of You 2“ ist eine gniedelig-rockigere Version des Albumtracks und vermutlich die Version von „Unreleased & Rare“.
Künstlerisch treten U2 seit 2014 auf der Stelle, abermals retten sie sich mit der Veröffentlichung alten Materials aus der Bedeutungslosigkeit. Viel Geld für altes Zeug ausgeben muss man als Fan dieser Band ja leider schon etwas länger, der Mensch mit Vollständigkeitsdrang braucht ein belastbares Konto. Wer für diese zehn Songs das Haupt-Album nicht nochmal erwerben möchte, hat das Glück der Black-Friday-LP, die natürlich trotzdem teuer ist, deren Marmorierung indes exklusiv bleibt. Interessant an der „Dismantle“-Box wären indes die Remixe, die nicht alle seinerzeit auch als B-Seite zu haben waren. Alles von U2 haben kann man eh nicht, also lehrt diese Band auch den härtesten Fan den Verzicht. Fühlt sich gut an.