Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Meine 180-Grad-Wende in der Causa AnnenMayKantereit.

Von Onkel Rosebud

Die wichtigsten beiden Frauen in meinem Leben lieben AnnenMayKantereit. Meine Mutter ist nicht dabei. Gemeint sind Freundin und Tochter. Das groovy, melancholisch Heimelige und natürlich Henning Mays Kratzbürsten-Stimme haben es ihnen angetan.

„Pocahontas“ und das ganze erste Album „Alles nix Konkretes“ (2016) hat mich so gar nicht abgeholt, obwohl alle um mich herum es liebten. Der Sänger sang, es tue ihm leid, und unterlag trotzdem dem Irrtum, achtmal in 3 Minuten und 12 Sekunden den Namen Pocahontas zu wiederholen. Ich empfand mich nicht der Zielgruppe zugehörig. Ich bin halt kein Student mehr mit Motivationsproblemen, morgens früh aufzustehen. Ich tat es ab in den Ordner „Banales Dramatisch Besungen“. Diese „Ist-doch-alles-nicht-so-schlimm“-Lyrik aus der Mittelschichtsblase und das „Wir-spüren-wieder-die-Sonnenstrahlen-auf-den-Wangen“-Gefühl empfand ich als schnurzpiepes Langweiler-Gejammer von Großstadt-Privilegierten. Im Nachhinein ist die Platte schlicht bahnbrechend.

Bevor mein AnnenMayKantereit-Bann gebrochen wurde, habe ich auch das zweite Studioalbum der Band, „Schlagschatten“ (2018), ignoriert. Kein Fehler, wie sich im Nachhinein rausstellte.

Im Jahr 2020 veröffentlichten die Kölner ihr drittes Album „12“ und es passte wie Arsch auf Eimer zur Pandemie. Sie mauserten sich zu begnadeten Gefühlsartisten im Lockdown. Meine beiden Herzdamen pfiffen die niederschmetternde Erkenntnis: „So wie’s war, wird es nie wieder sein“, wenn sie die Spülmaschine ausräumten, um die Gegenwart zu bewältigen. 2023 folgte Platte Nummer 4, „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“. Die beiden darauf befindlichen Songs „Ausgehen“ und vor allem „3 Tage am Meer“ brachen mir schließlich das Herz und wendeten meine Ignoranz zu Zuneigung für Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit, auch wegen dieser leichtfüßigen und trotzdem nostalgischen Note.

Lieder über die kleinen Dinge musikalisch eine Nummer zu groß anzulegen, das ist das Rezept der Band. Dem Alltäglichen wenigstens das Gefühl von Tiefe zu geben und das mit der rauen, tiefen Stimme des Sängers vorzutragen, die viel älter scheint als er selbst. Das fasziniert. Dieses Organ zieht einen in die Tiefe, dorthin, wo der Schmerz sitzt. Und da muss man auch hinwollen.

Dahin wollte immer,

Onkel Rosebud