Von Matthias Bosenick (29.05.2024)
Das ging schnell: Kaum ein Jahr nach dem Debüt „Piccolo Dizionario Di Parole Fraintese“ gibt’s von Les Longs Adieux schon den Nachfolger „Vertigo“. Darauf befasst sich das Duo aus Rom mit den Folgen der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und kleidet seine Betrachtungen in einen Achtziger-Sound, den es mit den Mitteln von heute generiert: Synthiepop auf modernem Stand, dazu Wave-Gitarren, eine grundsätzlich düstere Ausrichtung, zumeist tanzbar und mit catchy Melodien. Ein schöner, dunkler Spagat zwischen retro und modern.
Ja, der Stil ist klar den Achtzigern entnommen, doch die Sounds sind dies nicht, jedenfalls nicht durchgehend. Einige Effekte, manche Füllsel scheint man bereits aus der Zeit von vor 40 Jahren zu kennen, als Synthies gerade erschwinglich wurden und die Bands wie wild experimentierten und eine Musik wie diese erfanden, poppig, aber dunkel, atmosphärisch, aber kalt, und dann als Kontrast versetzt mit einer Flanger-Gitarre, die von sich aus warm klingt, aber die synthetische Kälte noch hervorhebt. Das Gros der Sounds auf „Vertigo“ indes wäre vor 40 Jahren auf diese Weise noch gar nicht generierbar gewesen, denn die Mittel dafür sind viel zu modern und damit eben auch die Musik.
Les Longs Adieux nutzen ihr Instrumentarium, um es vielseitig einzusetzen; trotz der grundsätzlich gruftigen Stimmung gibt’s auf „Vertigo“ auch Uptempo-Songs wie „Antenna“, „Two Sides Of The World“ beginnt mit einem Glam-Rock-Rhythmus, der Rauswerfer „Man Of The Clouds“ trägt einen hoffnungsvollen Achtziger-Anklang in sich, die meisten bleiben im mittleren Wave-Club-Tempo und dazu gibt es Balladen wie „Windows On The World“ oder „Falling Man“. Jenes greift bereits im Titel das Thema des Albums auf, nämlich die Auseinandersetzung mit den Anschlägen auf die Twin Towers. Als eine Art Synth-Dream-Pop-Oper fassen Les Longs Adieux „Vertigo“ auf, die die „tragischen Ereignisse“, so die Info, mit einer Gefühlsmelange aus Angst, Schuld und Empathie verarbeitet.
So viel zur Musik – den Gesang übernimmt hier Federica Garenna, die ihre Stimme den Songs gemäß einsetzt, mal klar und dunkel, mal ausdrucksstark in höherer Lage, auch mal an Diamanda Galás erinnernd oder an Louise Patricia Crane. Außerdem übernimmt sie Synthies und Gitarren, den Rest – weitere Gitarren, unterstützende Programmierung und einmal den E-Bow – übernimmt Frank Marrelli. Damit schrumpft Les Longs Adieux zum Duo, denn Alessandra Trinity Bersiani und Valerio Michetti, die noch am Debüt und am im November veröffentlichten Mitschnitt „Live At Traffic 25/02/23“ beteiligt waren, fehlen hier. Ganz abgesehen von den Singles und EPs, die dem Debüt vorangingen. Ziemlich hohe Schlagzahl insgesamt, man darf sich jetzt schon auf die nächste Veröffentlichung im Herbst freuen, oder?