Enablers – Almost To Who Knows Where – Atypeek Music 2024

Von Matthias Bosenick (27.05.2024)

Nach 20 Jahren Existenz kann man ruhig mal eine Best-Of veröffentlichen, oder? Ein seltenes Format außerhalb der Weihnachtszeit, noch seltener in Bezug auf Bands, die aufgrund ihrer musikalischen und sonstigen Ausrichtung nicht eben massentauglich sind und vermutlich weder Club- noch Radiohits vorzuweisen haben. Also interessant sind, wie die Enablers, eine Band aus San Francisco, die Post-Punk-, Post-Rock- und Noiserock-Tracks als Grundlage für einen Textvortrag nutzen, der irgendwo zwischen Poetry und Rap sein Eigenleben führt. Schön, auf diese Weise – „Almost To Who Knows Where“ ist auch noch ein Doppel-Album mit 31 Tracks – auf die Band aufmerksam zu werden – es gilt nunmehr sieben vorausgehende Alben nachzukaufen.

Erstaunlicherweise ist die erste Assoziation beim Auflegen von „Almost To Who Knows Where“ die zu MC 900 Ft. Jesus und dessen grandiosem Track „New Moon“, auf dem jener zu einem trippigen Jazztrack zwölf Minuten lang von einem Suizid per Auto erzählt, die dunkle Stimme und die musikalische Intensität tragen den Sog der Figur im Track. Auf die Enablers passt der Vergleich, weil diese ebenfalls dunkle, trippige Musik spielen, hier indes mit der Hand, und weil Pete Simonelli dazu auf ähnliche Weise Geschichten erzählt. Kuriosum: Ein früher Track der Band heißt dann auch noch so ähnlich, nämlich „New Moon Knockdown“, veröffentlicht 2006 auf einer Split-7“ mit Redpanda.

Simonelli selbst sieht sich in der Tradition der Beat Poetry, also ungefähr bei Allen Ginsberg und Jack Kerouac; um das zu bestätigen, müsste man sich intensiver mit den Texten auseinandersetzen, der Vortrag selbst weckt diese Assoziationen nicht, der passt sich nämlich bestens an die Musik an und bildet mit ihr eine Einheit, dieser Eindruck steht vor allen weiteren Wahrnehmungen: wie gut das alles zusammenpasst. Die Band, seit 2004 in einigem Wandel befindlich, spielt ihre Rockmusik in nicht an Songstrukturen orientierten Kompositionen. Hier dominiert das Experiment, im Grunde wie bei MC 900 Ft. Jesus ebenfalls der Jazz, das Freie, aber basierend auf einer Art Nosierock, auf Post-Punk, auf Minutemen und fIREHOSE, auf etwas Sonic Youth, auf der unwuchtigen Variante der Swans (was nicht verwundert, wenn deren Ex-Mitmusiker Joe Goldring Mitglied der Gründungsbesetzung war), insbesondere während loopartig repetitiver Passagen. Gute Gesellschaft also.

Auch ohne feste Songstrukturen bildet die Musik der Enablers einen Sog, es gibt Melodien, zart vorgetragen auf einer unverzerrten E-Gitarre, es gibt Riffs, es gibt laute Ausbrüche, während derer auch Simonelli seine ansonsten zurückhaltende Stimme erhebt, es gibt filigrane Spielereien, es gibt chillige kontemplative Momente, die dann sehr in den Post Rock weisen, es gibt beabsichtigt angeschrägte Akkorde, es gibt gelegentlich auch mal verschachtelte Rhythmen, und was bei allem Schönen hier das Schönste ist: Es nervt niemals, dass der Gesang hier keiner ist, sondern jemand quasselt, denn man hört seine Stimme gern und er passt seinen Vortrag der spröden Musik bestens an. Sofern er denn überhaupt zu hören ist, nicht selten lässt er auch der Musik freien Lauf.

Vom verwirrenderweise „End Note“ betitelten, auf Neurot Recordings erschienenen Debüt des Jahres 2004 bis zum jüngsten Album „Some Gift“ aus dem Jahr 2022 sind Alben, EPs und Split-Releases der nach mehreren Wechseln inzwischen über die ganzen USA verstreuten Band enthalten. Die Reihenfolge ist nicht so ganz chronologisch, was die Homogenität der Tracks über die Jahrzehnte hinweg nur bestätigt. Vollständig ist die Übersicht natürlich auch nicht, es fehlen einige B-Seiten, besonders von den reinen Download-Veröffentlichungen. Als Überblick für Neueinsteiger ist „Almost To Who Knows Where“ bestens geeignet und für manche Sammler, die nicht alle Vinyl-Releases besitzen, ebenfalls.

CD1
01 Pauly’s Days In Cinema (von „End Note“, 2004)
02 And Last Night? (von „End Note“, 2004)
03 Five O’Clock, Sundays (von „Output Negative Space“, 2006)
04 Output Negative Space (von „Output Negative Space“, 2006)
05 Suburban Death March (von „Some Gift“, 2022)
06 Ghosting (von „Output Negative Space“, 2006)
07 The Destruction Most Of All (von „Tundra“, 2008)
08 Februaries (von „Tundra“, 2008)
09 New Moon Knockdown (von „Enablers/Redpanda“ 7“, 2006)
10 The Achievement (von „Tundra“, 2008)
11 Hy (von „Now You Can Answer My Prayers“ 10“, 2009)
12 The Reader (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)
13 Rue Girardon (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)
14 Morandi: Natura Morta #86 (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)
15 Cliff (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)

CD2
16 The Percentages (von „The Rightful Pivot“, 2015)
17 Solo (von „The Rightful Pivot“, 2015)
18 Went Right (von „The Rightful Pivot“, 2015)
19 West Virginia (von „The Rightful Pivot“, 2015)
20 She Calls After You (von „The Rightful Pivot“, 2015)
21 Berlinesque Excerpt #1 (von „Berlinesque“ Download, 2014)
22 Patton (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)
23 And Other Oddities Of The Brain (von „Some Gift“, 2022)
24 Look (von „The Rightful Pivot“, 2015)
25 In McCullin’s Photograph (von „Zones“, 2019)
26 Furthermore (von „Zones“, 2019)
27 Broke (von „Zones“, 2019)
28 Zones (von „Zones“, 2019)
29 Pigeon Diaries (von „Pigeon Diaries“ 12“, 2020)
30 Career​-​Minded Individual (von „Blown Realms And Stalled Explosions“, 2011)
31 End Note (von „End Note“, 2004)