Von Matthias Bosenick (12.05.2024)
Überbordend vor Einfällen beginnt diese Begegnung eines humanoiden Roboters mit einem anthropomorphen Hund im New York der Achtziger, vor dem Fall der Twin Towers, und das als Zeichentrickfilm im klaren Cartoonstil ohne gesprochene Worte, aber mit ganz viel Earth, Wind & Fire. Nach der Hälfte ändert sich in „Robot Dreams“ fast alles, Tempo, Opulenz, Humor, es wird balladesk und melancholisch – und mündet in ein Finale, das man ganz anders erwartet, erhofft, vorausgeahnt hätte. Man hat es eben nicht mit Disney zu tun.
Die Hauptfigur, wie alle Tiere des Films lediglich an einem Schild erkennend als das benannt, was sie ist, nämlich Dog, ist einsam und legt sich als Gegenmaßnahme dazu einen Roboter zu. Der erkundet mit Dog die Welt, man sieht sie durch seine Augen auch nochmal neu und erfreut sich an den unzählbaren Details, die das Leben mit sich bringt. Bis Dog auf die Idee kommt, mit dem Roboter im Meer baden zu gehen und der danach am Strand festrostet. Am nächsten Tag will Dog ihn aus seiner misslichen Lage befreien, doch ist das der erste Tag der Wintersaison, der Strand ist gesperrt und der Roboter bleibt bis zum Beginn der Sommersaison im nächsten Juni unerreichbar. Beide gehen mit der Situation unterschiedlich um: Der Roboter verliert sich in Fantasien, wird zerstückelt und letztlich von Schrottjägern auf eine Deponie verhökert, wo ihn Rascal, der Waschbär, in Fragmenten aufspürt, neu zusammensetzt und ihn zu sich nach Hause mitnimmt. Dog sucht zunächst vergeblich nach Rettungsmöglichkeiten, versucht es bald mit anderen New Yorkern als Freunden und kauft sich schließlich, weil er im Juni den Platz am Strand verwaist vorfindet, einen neuen Roboter. Natürlich läuft es nun auf ein Wiedersehen der beiden Figuren hinaus, das wünschen sich doch alle!
Die erste Hälfte des Filmes müsste man sich in Einzelbildern ansehen, so viele Details versteckt Regisseur Pablo Berger hier im Sekundentakt. Die Welt ist von Tieren bevölkert, die allesamt menschlichen Aktivitäten und denen ihrer jeweiligen Rasse nachgehen, alles vor der Kulisse eines New York in den Achtzigern. Jede Sequenz ein Wimmelbild, überall versteckte Gags, die Leinwand quillt über vor Ideen. Dazu wählt Berger bisweilen Perspektiven, die man mit realen Kameras niemals hinbekommen hätte, da reizt er das Medium Zeichentrick bis über die Ränder hinaus aus. Im Wortsinne: Als der Roboter einmal wieder von seiner Rettung träumt, dreht er die Kinoleinwand um die vertikale Achse und verschwindet in einem Blumenfeld, dessen Pflanzen mit ihm einen Irish Dance aufführen. Elefanten und Mäuse im Ruderboot, TV-Werbung, Nachbarn, Vergnügungsparksituationen, U-Bahn-Fahrten, Punks mit Stinkefinger, überall tummeln sich Easter Eggs. Man fühlt sich in diesem New York fast wie bei „Fritz The Cat“, nur etwas familientauglicher.
Doch dann wendet sich die Stimmung, darauf muss man sich einlassen. Die Fröhlichkeit vergeht und nimmt die Ausgelassenheit mit sich, die Bilder werden langsamer, einfacher, schwermütiger, die Gags seltener. Erst zum Finale hin reißt der Film das Ruder wieder herum und lässt das Leben neu sprießen, jedoch mit anderen Blüten als angenommen. Eine schöne Überraschung. Man wundert sich lediglich, warum Dog nicht auf die Idee kam, sich dem Strand von Seeseite aus zu nähern und dass er überhaupt irgendwann so passiv wirkte, aber das gehört wohl zu seinem melancholischen Naturell.
Diese zweite Hälfte hat zwar einige Längen – die Szene beim Bowlen mit dem Schneemann deutet zwar nett auf „The Big Lebowski“, doch handelt es sich da nicht um einen Traum des Roboters, sondern von Dog, und ist damit etwas willkürlich eingebaut –, aber das mindert die Freude an dem Film kaum. Man behält viele positive Details im Kopf, wenn man das Kino verlässt: Etwa, dass die Figuren sich zwar an den Händen halten, dass dies aber nicht Ausdruck von sexuell motivierter Zusammenkunft ist, sondern von Freundschaft, und daher bei den Figuren nicht immer eine eindeutige Geschlechtszuordnungen erfordert. Dann der Einsatz von Musik, meistens bildet „September“ von Earth, Wind & Fire die Grundlage für eingesetzte Themen, anfangs auch mal Metal im Musikfernsehen oder Punkrock bei den Straßenpunks, später ein Pianoscore. Die Wortlosigkeit funktioniert tadellos, wie bei Veit Helmer oder „Shaun, das Schaf“, hier übernehmen Blicke oder Gesten die Kommunikation.
Das hier ist nicht Studio Ghibli und ganz besonders nicht Walt Disney, aber auch nicht so räudig wie „Heavy Metal“, der Stil und der Sound sind eigen genug. Da weiß man gar nicht, ob man sich die Geschichte in nicht-animiert und ohne Bergers Dynamik als starre Graphic Novel anschauen mag – auf dem gleichnamigen Buch von Sara Veron basiert der Film nämlich, in Deutschland 2008 verlegt als „Robo und Hund: Wahre Freundschaft rostet nicht“. Elektrische Schafe gibt’s hier übrigens keine.