Von Guido Dörheide (29.04.2024)
Ähnlich bei „Doctor Who“ existieren verschiedene Inkarnationen von BAP, die ich im Unterschied zur Fernsehserie allerdings nicht am Hauptdarsteller (der war und ist immer Wolfgang Niedecken), sondern am jeweiligen Leadgitarristen festmache: Da war die erste Zeit als „Wolfgang Niedeckens BAP“ mit Hans Heres an der Gitarre und nur einem Album („…rockt andere kölsche Leeder“), dann die Ära Klaus „Major“ Heuser von 1980 bis 1999 mit allen bedeutenden BAP-Alben, aber auch dem musikalisch schlechtesten Werk der Band, dem unerträglich seicht-poppigen „X für e U“ (1990); „Pik Sibbe“ (1993), „Amerika“ (1996) und „Comics und Pin-Ups“ (1999) klangen dann deutlich besser, und in der Ära Helmut Krumminga von ebenfalls 1999 („Tonfilm“) bis 2014 (letztes Studioalbum „Halv so wild“ 2011) lieferten BAP ganz wunderbare Alben wie das Plugged/Unplugged-Werk „Radio Pandora“ (2008) ab, und seit 2014 ist nun Ulrich „Ulle“ Rode für die erste Gitarre zuständig und BAP firmieren nun als „Niedeckens BAP“.
Das hat seinen Grund nicht in einem Egotrip des Bandleaders, sondern ist vertraglich bedingt, da BAP nunmehr ein Niedecken-Projekt mit wechselnden Begleitmusiker:innen, die ihrerseits zusätzlich anderswo vertraglich gebunden sind, darstellt. Diese im Bandnamen verankerte Flexibilität sei der großen alten Ikone des mundartlich eingefärbten Protestrocks, dem „Dylan von der Südstadt“ von Herzen gegönnt, denn natürlich war BAP immer ganz viel Niedecken und Niedecken umgekehrt auch immer ganz viel BAP. Das 2022er Erzähl- und Musik-Hybridalbum „Dylanreise“ hat Niedecken beispielsweise unter dem Namen „Wolfgang Niedecken“ veröffentlicht, obwohl es auch nach BAP klingt, dort sind jedoch andere Musiker zugange. „Niedeckens BAP“ besteht in der Hauptsache aus Niedecken, besagten Ulle Rode an der Gitarre sowie Werner Kopal am Bass (seit Mitte der 90er Jahre bei BAP!), Anne de Wolff an verschiedenen anderen Instrumenten (Streicher, Gitarre, Percussion) und Sönke Reich am Schlagzeug, ist also für ein Projekt mit wechselnden Begleitmusikern sehr konstant besetzt. Hinzu kommen auf „Zeitreise“ Michael Nass an den Tasteninstrumenten, Axel Müller am Saxofon, Benny Brown an der Trompete und Johannes Goltz an der Posaune.
Die „Zeitreise 81/82“-Tour von BAP beginnt im November 2024 und enthält alle Stücke der Alben „Für usszeschnigge“ (1982) und „Von drinne noh drusse“ (1982) sowie ein paar andere Nummern, die ebenfalls mindestens 40 Jahre alt sind. Die beiden Alben gelten als die besten und wichtigsten der Band, ich persönlich zähle da allerdings noch „Zwesche Salzjebäck un Bier“ (1984) und „Da Capo“ (1988) mit dazu.
Ein Jahr vor Tourbeginn spielten BAP das volle Programm schon mal an einigen Abenden im Kölner Sartory-Keller durch und brachten nun das vorliegende Konzertalbum heraus. Anders als „Salzjebäck“ und „Da Capo“ sind die beiden hier dargebotenen Alben soundtechnisch nicht so ganz optimal gealtert, bei den Synthesizer- und Percussion-Spielereien (Sorry, Schmal, sorry, Effendi!) und (Sorry, Major!) auch dem Gitarrensound der frühen 1980er Jahre klingeln mir beim Hören so manches Mal die Zahnfüllungen, während Niedeckens Songwriting- und Gesangsfähigkeiten und vor allem seine textliche Brillanz mich immer noch begeistern.
Kann das Zeitreise-Album nun den Beweis antreten, dass die Songs von damals auch heute wieder auf ganzer Linie begeistern können? Es kann!
Los geht es mit „Koot vüür Aach“: Mit von Publikumsklatschen begleitetem Klavier und wirklich wirklich stimmungsvollem Saxofon besingt his Wolfgangness das Gefühl, mit einer siebenköpfigen Band auf der Bühne zu stehen und das Konzert zu beginnen. Werner Kopals Bass setzt gänsehauterzeugend bei der Zeile „Mir weed flau, ich beneide dä Basstyp, dä jlisch em Halvdunkel links hinger mir steht“ ein, dazu gniedelt Rode ein geiles Solo nach dem anderen hin und Reich schlurft dazu einen tollen Beat hin – was für eine Eröffnung!
Anschließend synthetisiert Nass ein schöön langsames Intro, dass mit einem „One two three four!“ des Drummers in einen typischen 80er-Jahre-Rock’n’Roll mit viel Keyboard übergeht, und dann wird klar, dass wir es mit „Südstadt verzäll nix“ zu tun haben, in dem Niedecken die Gentrifizierung des von ihm bewohnten Kölner Stadtteils besingt – Hammer, von diesem Phänomen habe ich erst Jahrzehnte nach diesem Song zum ersten Mal gehört, Niedecken brachte schon 1981 auf den Punkt. Und das rockend. Genauso geht es weiter: „Nemm mich met“ ist ein typischer Frühachtziger-BAP-Kracher mit diesem typischen Nähmaschinen-Major-Gitarrengekratze, von dem auch „Verdamp lang her“ (mehr dazu später) lebt und das Ulrich Rode wunderbar zeitgemäß soundtechnisch in die 2020er Jahre überführt.
Und als wäre das noch nicht genug, rocken und rollen Niedecken und seine Mitstreiter mit „Wo mer endlich Sommer hann“ und „Waschsalon“ noch gleich mal so weiter, um dann mit „Ens em Vertraue“ in den Schunkelmodus überzugehen. Eine humorvolle und nachdenkliche Abrechnung mit dem Prozess des Lieder-Schreibens, inkl. Weltwortneuschöpfung „manisch-aggressiv.“
Und gleich anschließend „Nit für Kooche“ in allen beiden Teilen – eine mit Karnevalsmusik beginnende und dann in Schweinerock übergehende Beschäftigung mit dem Umstand, dass sich BAP zu Zeiten des Karnevals niemals in Köln aufhalten würden – zu begehen, ein Song, der einem ehemaligen Insassen der Heimatlöwenstadt des größten norddeutschen Karnevalsumzugs mehr als einfach nur aus der Seele spricht – nit für Braunkohl bliev ich zum Schoduvel hier, sarickma. Mit „Ahn ’ner Leitplank“ geht es dann nachdenklich weiter, es geht dabei um einen tödlichen Autounfall und selten wurde in deutscher (?) Sprache ergreifender über so etwas gesungen. Dann „Wellenreiter“ mit einer der geilsten Schweineorgeln des gesamten Deutschrocks und einem Rhythmus, der die Hörenden gleichsam auffängt, umarmt und einlullt. Einer meiner liebsten BAP-Songs. Nicht nur meiner, das Auditorium singt textsicher mit. Ebenso wie beim folgenden Reggae „Müsli Män“. Stunn mer friedlich an der Frittenbuud und finden uns dann im ÖRG wieder, es fehlt nur das Lastenrad.
Im Folgenden wird es dann wieder politisch, anklagend und prophetisch: „Zehnter Juni“, „Wenn es bedde sich lohne dääht“ und „Kristallnaach“ sind drei Niedecken-Songs, die an Aktualität eher gewinnen als alles andere, und das alles dazu noch toll getextet und musikalisch über jeden sprichwörtlichen Zweifel erhaben. BAP wäre aber nicht BAP, wenn es nicht auch mal eine ganz lange Strecke lang so richtig toll gefühlsduselig zugehen könnte. Und auch dazu brauchen BAP nicht eine Jahrzehnte umspannende Diskografie, nein, auch für „Eins für Carmen un en Insel“, „Weisste noch?“, „Fuhl am Strand“, „Hundertmohl“ und „Jupp“ bedienen sich BAP aus nur diesen großartigen zwei Alben aus 1981 und 1982.
Alsdann folgt einer der umhauendsten Songs aller Zeiten: „Ne schöne Jrooß“. Ne schöne Jrooß ahn all die, die unfehlbar sinn, vun nix en Ahnung hann, die ävver, immerhin su dunn als ob, weil op Fassade, do stonn se halt drop – Stammtischpolitiker gab es schon immer und sie werden nicht kreativer, so dass dieser Song, der damals noch echte Altnazis und deren Söhne im Fokus hatte, jetzt 1 zu 1 auf die ignoranten und in höchstem Maße dummen AfD-Jünger passt. Direkt im Anschluss lässt sich Niedecken bezugnehmend auf eine bestimmte Songzeile (und sind so einige Zeilen mehr, die hier zutreffen) zu einer kurzen und treffenden AfD-Kritik hinreißen, die durch das anschließende „Verdamp lang her“ leider zu sehr verblasst. Erst „Ne schöne Jrooß“, dann AfD-Kritik, dann „Kristallnaach“, so wünschte ich mir das. Aber wurscht, Niedecken ist ein großer Dichter, ein großer Musiker und er versteht es wie kaum ein Anderer, kluge politische Aussagen und verdamp geile Rockmusik nur wenige Millimeter voneinander entfernt aufzuführen. Nach „Verdamp lang her“ gibt er „Frau ich freu mich“, in dem er das Rockstarleben knapp oberhalb des Existenzminimums, die Sehnsucht nach der Liebsten und wundervolle Tasteninstrumente kongenial unter eine warme Decke bringt, sowie einige andere wunderschöne Gassenhauer wie „Do kanns zaubere“, „Anna“, „Jraaduss“, „Wie ne Stein“ zum besten und kurz vor Schluss folgt „Et letzte Leed“, das ich schon damals, als ich irgendwann um 1990 zum ersten Mal die 1983er-BAP-Live-LP „Bess demnäähx“ hörte und seitdem tief in meinem Herzen trage. Anschließen tut sich noch „Helfe kann Dir keiner“ – eins der ältesten BAP-Lieder („dann haben wir einen Kasten Bier leergeprobt und sind anschließend einen trinken gegangen“ – bei Niedecken klingt auch solch eine Alkoholverherrlichung sehr sympathisch) und wunderschön mit Akustikklampfe und Niedeckens Signature-Vortrag, sowas Schönes!
Ich hätte ja niemals gedacht, dass ich eine andere deutsche Mundart außer Thüringisch (Danke, Liebste!) oder Plattdütsch (Danke, Frieda und Otto, meine Großeltern!) so feiern könnte wie ausgerechnet Kölsch (und das mir, als studiumsbedingt bekennendem Düsseldorf-Fan), aber: „Dat nervt mich ald sick Johren datt ich nie dat machen kann wovöhr ich Lust hann, hück besonders, wo mer endlich Sommer han“, besser hat nie jemand Eddie Cochran übersetzt. Mit Helmut Kohl an der Posaune.