Von Matthias Bosenick (04.04.2024)
Allein an der Jazzgitarre: Nach seinen Arbeiten als „Trio“ präsentiert Cyril Bernhard aus Toulouse seine bereits vor drei Jahren teils komponierten, teils improvisierten „Solo!“-Aufnahmen an seinem Lieblingsinstrument in seiner Lieblingsmusikrichtung. Bernhard beherzigt gern die alte Faustregel, nach der im Jazz besonders die Noten von Relevanz seien, die nicht gespielt würden, mag auch gern Halbtöne und bleibt bei allem dennoch harmonisch, warm und entrückt-entspannend, selbst bei gelegentlich eingeschaltetem Verzerrer. „Solo!“ kann man sich auch gut nähern, wenn man ansonsten mit Jazz nicht so viel am Hut hat.
Erst beim dritten Track „Berceuse pour un enfant triste“ gönnt Bernhard seinem Instrument ein Effektgerät, das für einen Hauch von Rockmusik sorgt. Er spielt das Stück an, und kaum denkt man an die experimentellen Alben von Neil Young, „Dead Man“ und „Le Noise“, verlässt der Franzose auch schon die vertrauten Pfade und entlockt seinem Instrument Sounds, an denen man es nicht einmal mehr erkannt hätte. Es klingt nun nach einer Sackpfeife, auf der Bernhard sich austobt. Hier wie bereits auf den beiden unverzerrt elektrisch gespielten Stücken davor indes ist es die Leere, die verzaubert: Die fehlenden Zwischentöne ergeben das Bild, die Stille zwischen den Melodien, Akkorden, Rhythmen und Notentupfern drängt sich nach vorn. Damit erinnert Bernhards Musik an Mark Hollis solo oder „Laughing Stock“ von Talk Talk, nur ohne zusätzliches Instrumentarium.
An anderer Stelle erinnert „Solo!“ kompositorisch an Kammermusik, an Klassik mithin, an weiterer Stelle an die Jazzgitarre, wie Bob Dylan sie auf späteren Alben retroselig einsetzte. Bei alledem muss Bernhard bis auf dezidierte Ausnahmen wie das gegniedelte „Encore plus tard“ gar nicht freakig und ausgefallen sein, um einen besonderen Jazz zu machen, seine „Solo!“-Arbeiten sind zugänglich und trotzdem ungewöhnlich. Zudem belegt er eine fabelhafte Fingerfertigkeit, indem er gelegentlich Dinge auf der Gitarre vollführt, bei denen sich einem schon beim Zuhören das innere Griffbrett verbiegt, und auch dies vollführt er ohne Eitelkeit und expliziten Hinweis auf Könnerschaft, sondern musikdienlich. Inwieweit sich Bernhard an seinem Instrument von historischen Größen wie Django Reinhardt, Wes Montgomery oder Freddie Green inspirieren ließ, lässt sich vom Rezensenten nicht erfassen, weil der die Alben der genannten Musiker nie verinnerlichte; das lässt bei ihm eine weitere Lücke klaffen.
Seit 2013 veröffentlicht der Punkgitarrist Bernhard Jazzmusik, zumindest ist das Stück „Opaque Piece“ aus dem Jahr das älteste, das sich auf Bandcamp finden lässt. Das indes spielte er, wie die Alben und EPs danach, als Trio ein – und mit dem generiert er einen sehr, sehr freien, freakigen, rockaffinen und noisigen Jazz. Auf der „Cyril Bernhard Trio EP“ aus dem selben Jahr war auch der in Groningen arbeitende Bassist Esat Ekincioğlu (AVA Trio, Kuhn Fu) beteiligt, neben Schlagzeuger Yusuf Ahmed. Spätere Trio-Vervollständiger waren wahlweise Bassist Louis-Nicolas Gubert, Schlagzeuger Rémy Gouffault, Keyboarder Arthur Guyard, Kontrabassist Louis Navarro, Schlagzeuger Jonas Chirouze, Saxophonist Iscle Datzira oder Schlagzeuger Tim Alcorn. „Solo!“ ist zudem abwechslungsreicher und bekömmlicher als Bernhards erste Solo-EP „Ouirda“ aus dem Jahr 2020 sowie die zweite EP mit dem programmatischen Titel „Maximum Distorsion“ aus dem Jahr 2022.