Von Matthias Bosenick (21.02.2024)
Anstatt dass jeder der – alten! – vier Musiker der Kopenhagener Black-Metal-Institution Solbrud wie weiland Kiss ein eigenes Soloalbum herausbringt, bekommen sie alle jeweils eine LP-Seite des Doppel-Vinyls „IIII“ zur Verfügung (und ebenso eines der vier Elemente zugeordnet), um sich kompositorisch auszutoben. Das Ergebnis spricht für sich: Wer weiß, was ein Veto so alles verhindert hätte – so ist es eines der am weitesten die Grenzen verlassenden Black-Metal-Alben überhaupt, mit Ausflügen in Progrock, Akustik-Folk und Classic Rock der Siebziger. Selbst die heute schon fast typischen Anteile an Ambient und Post Rock erweitern das eigene Spektrum der Band, dabei kommt der flächige, epische und blastbeatige Black Metal hier ebenfalls nicht zu kurz. Das Warten hat sich gelohnt!
Mitten im brüllenden Opener „Hvile“ auf der von Schlagzeuger Throels Hjorth gestalteten A-Seite, Element Luft, fährt die Band plötzlich alle Systeme herunter und reduziert den Lärm auf – eine Akustikgitarre. Als wäre nichts gewesen, setzt die Band Melodie und Harmonie aus der Bewegung heraus mit diesen nicht-metallischen Mitteln fort, verändert damit die gesamte Atmosphäre komplett, holt die Hörenden aus der Trance heraus und schiebt sie in eine neue. Es passt so gut. So unerwartet gut. Und mit derselben kaum wahrnehmbaren Bewegung schwenkt die Band zurück in den infernalischen Black Metal, mit sägenden Gitarren, Dreivierteltakt, Blast Beats und ausufernd keifendem Geschrei. Und weil Black Metal ja bekanntlich ein reines Gitarre-Bass-Schlagzeug-Ding ist, bringt der Komponist auch gleich noch so typische Instrumente wie Mellotron, Orgel, Zither und Streicher mit, klar. Hjorth beendet seine Seite mit dem fast schon poppigen „Tåge“, das einen mit seinen warmen Harmonien zu kopfnickbaren Beats beinahe vergessen lässt, dass man sich immer noch mitten in einer Black-Metal-Platte befindet. Aber daran erinnert einen die Band schon rechtzeitig.
Der Bruder übernimmt die B-Seite mit dem Element Wasser: Die birgt mit „Når Solen Brydes“ nur ein Stück, das aber aus vier Teilen besteht, da zieht Bassist Tobias Hjorth sämtliche Register. Obwohl, das übernimmt abermals sein Bruder an der Orgel. Der erste Teil ist eine knappe, dunkle Einleitung, dann brettert die Band im zweiten Teil wieder los. Wie immer bei Solbrud ist es wichtig, auf die Details zu achten: Einmal kippt der Blast Beat ganz kurz in einen groovenden Rhythmus aus dem klassischen Hard Rock. Beim zweiten Mal wird aus dem gesamten Track plötzlich ein progressiver Rocktrack, der Hall verfliegt, der Raum wird in die staubtrockene Wüste verlegt. Plötzlich Stille. Dezidierte Riffs. Was kommt jetzt, „Radar Love“? Nein: weniger. Vereinzelte Riffs auf der Akustischen, Orgelsounds, dann wieder angeschlagene Rockgitarren, ganz kurz blitzt die Idee von Twin Guitars auf, dann bricht sich das eigentliche Genre wieder Bahn. Solche artfremden Elemente liegen wie Inklusen in einem Bernstein, fragile Schönheit von einer ausgehärteten Goldflüssigkeit umschlungen. Und plötzlich singt Lea Emilie Dam, als hätte sich das Familienkaffeetrinken in den Bandkeller verirrt und fände sich da trotzdem für alle überraschend ganz gut zurecht. Und da hat der Track noch zwei Teile vor sich, die abermals dem klassischen progressiven Rock nicht abgeneigt sind. Das Solo! Und das Gewitter im Hintergrund wünscht man sich beim Hören beinahe in echt.
Seite C, Element Erde, mit „Ædelråd“ und „Sjæleskrig“ gehört Gitarrist Adrian Utzon Dietz. Ersteres beginnt noch wie eine sehr depressive Black-Metal-Blaupause, doch wiegt einen die Band damit nur in falscher Sicherheit: Nach fünf Minuten zerbricht der Track, akustische Gitarren übernehmen, der Song taumelt wie angeschossen in Richtung Classic Rock und knüppelt dann zurück in den Black Metal, in dem das Tempo eine warme Fläche überdeckt. Das letzte Drittel zerbricht den Track dann zu etwas Akustischem, das man für mittelalterlich halten könnte und das abermals zunächst in Black Metal, dann in klassischen Rock übergeht. Oder in beides. Deep Purple mit Blast Beats. Und dann der zweite Track – der beginnt mit: Twin Guitars. Wie bei Thin Lizzy. Alter! Und epischen raumgreifenden Harmonien wie früher bei Fleedwood Mac. Gegniedel und Wohlklang in höchsten Höhen, alles instrumental. Man reibt sich verwundert und begeistert alle Ohren und fragt sich: Ist das noch Black Metal? Ja, bitte!
Die letzten drei Stücke auf der D-Seite, und somit das Element Feuer, gehören dem, der nicht mehr da ist: Sänger und Gitarrist Ole Luk verließ Solbrud 2022 zugunsten seiner Projekte Afsky und Heltekvad, rund ein Jahr nach den Aufnahmen zu „IIII“. Mit „En Ild Som Tusind Sole“ und „Aske“ hinterlässt er zwei Tracks, die sich formal an den Vorgänger „Vemod“ aus dem Jahr 2017 anschließen und die epische Intensität des Post-Black-Metal vom Formate Solbrud weiterspinnen. Inmitten der Bretterpassagen bricht die Band auf klar gespielte, leere, karge Gitarren herunter und bläst dann abermals zum Sturm. Darin bettet die Band atmosphärische Flächen ein, deren Wärme der klassischen Black-Metal-Kälte gut zum Kontrast steht. Wie die Gitarren da ihre Haken schlagen, das ist schon irrwitzig schnell. Als Rauswerfer gibt’s ein „Postludium“, das einmal mehr unerwartet klingt: ein Black-Metal-Disco-Trip, rhythmisch ähnlich dem Hit „Immortal“ von Der Weg einer Freiheit.
So viele neue Aspekte in nur einer Band, die das Genre Black Metal mal eben gleichsam bedient wie umkrempelt. Mehr als anderthalb Stunden ist das Album lang, ein Brocken, der sich selbst zerbröselt, der sich in Fragmente legt, der Ansatzpunkte liefert, sich immer wieder neu anzudocken, und der zwar herausfordert, aber belohnt. Glücklicherweise ergibt die heterogene Herangehensweise ans Komponieren dennoch ein homogenes Album, das in sich geschlossen wirkt und gerade davon profitiert, dass die Ausprägungen so divers sind, aber aus sich selbst heraus kommen; letztlich ist es ja die gesamte Band, die die Stücke einspielt. Grandiose Idee, das Album auf diesem Weg anzugehen.
Zwischen den Aufnahmen und der Veröffentlichung stellten Solbrud den Nachfolger von Ole vor: David Hernan, eigentlich bei der Death-Metal-Band Bound Hands aus Aarhus, ebenso eigentlich Tätowierer und damit eben auch Designer, was auf „IIII“ zum Ausdruck kommen darf, dass er zwar an den Aufnahmen noch nicht beteiligt ist, aber am Artwork: Er gestaltete Miniaturen für die Inlays zu den vier LP-Seiten. Wie es kompositorisch und musikalisch mit ihm und Solbrud nun weitergeht, muss ds nächste Album zeigen. Live zu erleben war er in Kopenhagen schon viele Male, auch die Präsentationsshow im heiligen Konzerthaus fand mit ihm statt.
Das Vinyl in Schwarz-Gold-Splatter ist bereits ausverkauft.