Von Guido Dörheide (11.02.2024)
„In meinem Schritt ließ ich Dämonen wohnen?“ Wäh? OK, nein, nochmal genauer hingehört: „In meinen Schritten“ singt Andreas Spechtl auf „Lost“, dem ersten Stück des neuen Albums der innerhalb sämtlicher Texte nicht nervig, sondern irgendwie in sich logisch zwischen Deutsch und Englisch hin- und herspringenden Burgenländer mit Wohnsitz in Berlin. Das beruhigt mich, und auch Anneliese Braun, Agathe Bauer und Lady Mondegreen atmen hörbar erleichtert aus und auf.
Und wieder einmal mehr habe ich mir mal wieder mehr Einleitungen ausgedacht als andere Textbausteine, daher hier gleich die zweite:
Seit sich Tocotronic vor Jahrzehnten vom Krach entfernt haben und ruhigen Indierock mit kryptischen Texten machen, halte ich sie zwar immer noch für eine hervorragende Band, höre sie aber nicht mehr ganz so gerne wie früher. Umso schöner, dass es Ja, Panik gibt. Die beschreiten nach meinem Dafürhalten seit mittlerweile auch schon Jahrzehnten (in zwei Jahren werden es zwei) exakt den Weg, den ich mir für Tocotronic gewünscht hätte: Indierock zwischen fast schon Pop und immer wieder Krach, eine wiedererkennbare, dezent punkinfizierte Stimme und Texte, bei denen sich das Hinhören immer lohnt. Teils auf Deutsch mit österreichischem Dialekt („wovor soll ich mich fürchten“ mit einem „ch“ wie in „Krach“) und teils auf Englisch und immer beides in fast jedem Song.
Und da seriöse Studien bewiesen haben, dass man auf zwei Beinen nicht stehen kann, hier die dritte Einleitung:
Liebe Lesenden, kennen Sie noch Diskurspop? Cpt. Kirk &., Blumfeld, Huah!, Goldene Zitronen ab „Das bisschen Totschlag“? Sowas gibt es noch und es muss nicht aus Hamburg kommen, Ja, Panik aus dem Burgenland (und seit Jahrenden von Berlin aus operierend) beweisen das seit nunmehr 2006. Nach dem von mir sehr gefeierten „Die Gruppe“ von 2021 legen Ja, Panik mit „Don’t Play With The Rich Kids“ nochmal eine ordentliche Schüppe obendrauf. Musikalisch abwechslungsreich zwischen Depri-Folk („Teuferl“) und allen Arten des Indierock zwischen Postpunk und Postgrunge und textlich höchst ergiebig entwickelt sich das Album nach und nach zu einer meiner Lieblingsneuerscheinungen des an Monaten noch jungen Jahres.
Nachdem ich mich über die vermeintlichen Dämonen im Schritt auf „Lost“ wieder eingekriegt habe, nehme ich mal die Musik unter die Lupe: Viel Akustikgitarre gibt es, vor allem zur Einleitung, so auch auf „Lost“. Lost in Berlin, lost in Vienna, lost in Mexico City und wo man sonst noch überall lost sein kann („wherever I been“). Nach einer Minute legen Ja, Panik dann verhalten los. Eine knarzende Gitarre, ein Chor, ein donnerndes Schlagzeug untermalen immer noch dieselbe Melodie und als Hörende/r fühlt man sich bereits jetzt prima angekommen in dem Album.
„Mama Made This Boy“ beginnt ebenfalls mit Aktustikgitarre, diese bleibt jedoch nur kurz allein und dann wird routiniert, aber nicht langweilig indierockig losgeschrammelt. „Ein bisschen Angst, ein bisschen fear, aber die Coolness von dir“ – Spechtl versteht es zu texten, dass man sich bisweilen an den Kopf fasst, aber peinlich oder belanglos wird es nie, und dazu diese Stimme, das passt alles prima.
Eins meiner Oberhighlights auf einem an Highlights nicht eben armen Album ist „Hey Reina“. Das Stück dröhnt midtempo und melancholisch vor sich hin, der Gesang ist lässig und beinhaltet Welt-Zeilen wie „Wir scheißen auf den Tod und seine Freunde tonight“, zwischendurch liefern sich die Gitarren wunderschön quietschende Lärm-Duelle, dann wird es wieder beinahe ruhig, dann Ende.
Schön ist, dass es keinen einzigen enttäuschenden Song gibt auf „Don’t Play With The Rich Kids“, dafür aber schöne Songtitel wie „Fascism Is Invisible (Why Not You?)“ oder „Die Angst des Archivars vor der Sichtung der Welt“.
Mit „Every Sun That Shines“ erreichen Krach und Dynamik ihren Höhepunkt, zu stadiontauglichen Zeilen wie „Dein Gestern ist so tot, dein Morgen ist so groß, im Mond spiegelt sich Dein Gesicht und Deine Sonnen scheinen nur für Dich“, unterlegt mit Stefan Pabsts einfachem, aber effektivem und umso beeindruckenderem Basslauf und Sebastian Janatas hektisch galoppierendem Schlagzeug lassen Spechtl und Laura Landergott die Gitarren jaulen und die Letztgenannte gibt mittendrin auch an den Keyboards nochmal alles. Das ruhige Finale des Songs (wieder mal Akustikgitarre) lässt vermuten, dass das Album nun endet, aber das tut es nicht, sondern hält mit dem knapp zwölfminütigen „Ushuaia“ noch einen mächtig gewaltigen Trumpf im Ärmel parat.
Auch dieses beginnt mit der vielbesungenen Akustikgitarre, ein wenig Geflüster im Hintergrund und einem gesprochenen Gesang, der eine Art Roadmovie erzählt. Irgendwo im Hintergrund ertönt dann auf einmal ein J-Mascis-verdächtiges Gitarrensolo im Hintergrund und das Schlagzeug setzt ein. Und auch hier wieder schöne Keyboards und mit „Sing me to sleep“ eine, wie ich meine, Smiths-Referenz. Ab knapp vor Minute 5 wird dann wieder schöön krachig soliert, wobei aber die Meldodie nicht außer Acht gelassen wird, das Gitarrensolo steigert sich unaufgeregt in ein beeindruckendes Gegniedel hinein, derweil Bass und Schlagzeug erst unaufgeregt für Ruhe und Gleichförmigkeit sorgen, bis Janata dann wieder richtig losballert, ohne dabei auch nur annähernd am ruhigen Tempo des Stücks zu kratzen. Was für 1 Finale, was für 1 Album, was für 1 Band.