Von Matthias Bosenick (01.12.2023)
Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass der Brüsseler Yannick Franck sein Alias MT Gemini dafür ins Leben rief, um seine Einflüsse Jamaikanischer Musik zu verarbeiten, also Dub, Reggae, Rocksteady, Ska, denn was er auf seinem neuen Mini-Album „Conquering Ruler“ präsentiert, würde man eher im Industrial, Dark Ambient und Experimental-Noise verorten. Doch wer genau hinhört, entdeckt in diesen abgrundtief dunklen Horror-Soundscapes vereinzelte Offbeat-Samples. Heißt also, dass Franck die altvertrauten karibischen Rhythmen als Vorlage nimmt, um sie weiterzuentwickeln, und zwar deutlich weiter, als es der Gute-Laune-Anschein der Originale vermuten lässt: „Conquering Ruler“ ist eine akustische Herausforderung, die das Hören zwar zum Genuss, aber nicht zum Wohlfühlmoment macht.
Möglicherweise bekommt man einen Offbeat, wenn man das zweigeteilte Titelstück beschleunigt. So jedenfalls hört man allenfalls gelegentlich sehr tiefe Synthietöne, die als Ganzes ein Unwohlsein auslösen, das man aus Psycho-Horrorfilmen kennt. Minimale schräg verfremdete Reggae-Stückchen am Ende jedes Teils hellen die Stimmung nicht eben auf, vielmehr sieht man die dunklen Wolken über den Stränden Jamaikas noch deutlicher. Auch „30 Plenty“ hat diesen unterschwelligen verlangsamten Offbeat, aber der Zusatz „Lysergic Edit“ lässt schon vermuten, dass man eher auf einen Trip kommt, wenn man es hört, und dieser Trip ist nicht gerade bunt und sonnig. „Liquidator“ macht aus Dub Industrial, die Sounds sind harsch verfremdet, einige klingen wie Stimmsamples bösartiger Kreaturen, es schält sich eine Art geschredderter Melodie heraus, versetzt mit Tapeeffekten und anderen Verfremdungen, und ja, abermals lässt sich der Offbeat ahnen. Das finale „Hold Your Jack II (Solid Stream)“ ist dann der pure Ritual Noise, ein Drone-Industrial-Brocken mit marginal veränderten Tonhöhen und bösen hineingesetzten White-Noise-Effekten, Sprachsamples und einer furchterregenden Soundkulisse, die aus einem beklemmenden Geisterfilm stammen könnte.
„Conquering Ruler“ ist sehr weit weg von Jamaica und nicht wesentlich näher an London, aber dafür schon ganz dicht an Brüssel. Was Franck aus den sonnig-religiös-politischen Musik-Grundlagen machte, lässt sich im EBM-Industrial-Umfeld noch eher einsortieren als im grün-gelb-rot oder schwarzweißkariert markierten Fach. Das war auf dem Vorgänger „Just Like A River“ 2019 – seinerzeit auf Sub Rosa erschienen, dem Belgischen Label, das EBM, Electro und Industrial verbreitet – zunächst noch etwas anders, da schimmerten die Vorlagen zu Beginn („Copy Cat“ eröffnet das Album mit einem sinnhaften Titel: Dieser Reggae klingt in der Tat wie ein Kopierfehler) noch deutlicher durch die Verfremdungen, bevor Franck im Verlauf dem subliminalen Lärm und dem Dark Ambient die Oberhand gewährte. Auch hier ist von musikalischem Hedonismus keine Spur, das Mini-Album klingt wie eine eigenständige Vorbereitung auf „Conquering Ruler“.
Nun ist Franck in Brüssel ohnehin mit diversen Industrial-Projekten aktiv. Wichtigste Band ist da Orphan Swords, die komplett im um das Projekt Black Rain erweiterten Seitenarm Black Swords aufgehen, sowie neuerdings Figure Section mit der Österreichischen Schauspielerin Olivia Carrère. Solo ist er neben MT Gemini auch als RAUM und als Outlaw Compound aktiv, mit den Acts Idiosyncrasia und Y.E.R.M.O. veröffentlichte er weitere Tonträger.