Von Onkel Rosebud
Wie im Verlauf dieser kolumnistischen Retrospektive einer jahrzehntelangen DJ-Karriere schon das eine oder andere Mal durchsickerte, ist dem Autor Misanthropie nicht ganz fremd. Nun liegen bei mir nicht Bücher von Thomas Jelinek und Elfriede Bernhard auf dem Nachttisch, dafür von Max Goldt oder Peter Stamm. Von Ersterem ist aus dem Buch „Quitten“, Kapitel „Alte Pilze“, Vers „Hyppytyyny Huomiseksi“, überliefert, dass ein DJ maximal herausgefordert und erniedrigt werden kann, wenn man sich bei ihm Billy Joel mit dem Song „Uptown Girl“ wünscht. Ich habe sofort verstanden, was mein großes Vorbild, Onkel Max, bekannt für seine Kolumnen in „Ich und mein Staubsauger“, dann in der „Titanic“ und natürlich als Frontmann der besten NDW-Band der Welt, Foyer des Arts, damit meint: Der Schallplattenunterhalter, der dieses Lied spielt, wird einsam sterben.
Am Anfang war ich als Independent-DJ im angesagtesten Club der Stadt nahezu versessen auf Musikwünsche. Wegen der Geschäftstüchtigkeit am Pult und um die Übergänge nicht zu vermasseln, ließ ich lange Musikwünsche der Partyneilnehmer*Innen einfach auf einen Zettel schreiben. Auch, um den angetrunkenen, männlichen Mitmenschen aus dem Weg zu gehen, die mich anschrieen, endlich Black Sabbath zu spielen, sonst wäre eine Gewaltanwendung notwendig. Ist mir tatsächlich passiert. Mir hat mal jemand Prügel angedroht, wenn ich nicht sofort „Parannoid“ spiele. Habe ich natürlich nicht gemacht. Passte nicht in die Dramaturgie. Dafür hatte ich den Rest des Abends einen Bodyguard an der Seite.
Gern und immer habe ich dann die Musikwünsche in das Set eingebaut, auch, wenn sie mir persönlich sowas von zuwider waren, zum Beispiel die damals unvermeidlichen Darbietungen von Rammstein, Project Pitchfork, Deine Lakaien, etc. Nur jegliche Form von Schlager nicht. Eine andere, bemerkenswerte Musikwunsch-Geschichte ist, dass mir mal ungeschützter Geschlechtsverkehr für den Einbau eines ABBA-Songs in mein Set geboten wurde. Ich habe auf ersteres verzichtet und letzteres trotzdem getan. Ich war schließlich Dienstleister und wurde dafür bezahlt. Später habe ich mich dahingehend weiter radikalisiert, dass ich Musikwünsche umgedreht habe. Hatte sich jemand eine Band mit einem aktuellen Hit gewünscht, spielte ich die B-Seite. Ich wollte Künstler und Vinyl-gesteuerter Influenzer sein. Damals wie heute bin ich jedoch Handwerker, freue mich, die Alternative zu einer Spotify-Playlist zu sein, und sehne mich nach künstlerisch und politisch korrekten Musikwünschen, die dem Partyvolk eine Freude machen. Am liebsten sind mir die, die den laufenden Musikstil untermauern. Wenn also z.B. gerade eine Achtziger-New-Wave-Runde läuft und jemand wünscht sich The B-52s, die ich aus Gründen, die ich hier nicht näher erläutern will, nicht leiden kann, dann zwirbelt meine Hand zur Plattenkiste für „Planet Claire“. „Rock Lobster“ oder das unsägliche „Love Shack“ kommt nicht auf mein Turntable.
Vom dem im anglophonen Sprachraum wegen seines Nachnamens äußerst populären deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) ist folgendes Zitat überliefert: „Dagegen ist Menschen zu fliehen, aus Misanthropie, weil man sie anfeindet, oder aus Menschenscheu, weil man sie als seine Feinde fürchtet, teils hässlich, teils verächtlich.“ Schade, dass es damals noch keine Schallplatten gab. Mit dem Immanuel hätte ich mich sicher gut verstanden beim Ping-Pong, der Königsdisziplin des DJ-tums. Muss ich nicht erklären, wie das geht, oder?
Majestätisch ruht im Anorganischen,
Onkel Rosebud
P.S.: Nächste Woche folgt Episode 2 der Epic-Fails-Musikwünsche. Kleiner Spoiler: Helene Fischer und Linkin Park werden zweimal in einem Satz genannt.