Von Matthias Bosenick (10.11.2023)
Weiterentwicklung, so wichtig, um kreativ nicht auszubrennen oder sich grundlos zu wiederholen! Hört man sich durch das Oeuvre von Ammalie Bruuns Alter Ego Myrkur, bekommt man diesen Ansatz mehr als bestätigt: vom Ein-Frau-Black-Metal-Projekt über Kammerchor und Folklore zu – nun: Pop. Ein Zirkelschluss mithin, denn mit ihrer früheren Band Ex Cops machte Bruun bereits Rockpop, aber anders gelagert: Auf „Spine“ schwingen Abba mit, man mag es nicht glauben, und etwas Roxette vielleicht. Und Europe. Sehr schwedisch für eine Dänin! Und doch bei weitem nicht so glitzernd: Ihre Dunkelheit streift Bruun nicht ab, die Abgründe finden einen Platz in dieser schönen Musik, mit der sie ihre Mutterschaft bewältigt. Aber kurios ist die Entwicklung schon, an der auch noch Billy Corgan von den Smashing Pumpkins beteiligt ist. Um es ihrer Gemeinde trotzdem leichter zu machen, bringt sie außerdem auch sämtliche ihrer bisherigen Sounds auf „Spine“ unter, und es passt formidabel.
„Dybt i skoven“ war ja eigentlich auch bereits ein tanzbarer Popsong, erstmals enthalten 2014 auf Myrkurs selbstbetitelter Black-Metal-Debüt-EP und etwas verfeinert auf dem Debüt-Album „M“ 2015 sowie 2016 komplett entkernt auf der sakralen Chor-EP „Mausoleum“. Zu einem fröhlichen Beat singt die Kopenhagenerin mit dem isländischen Projektnamen davon, wie es „Tief im Wald“ zugeht. Die Entwicklung ist zu „Spine“ somit weit weniger abrupt, als die Überraschung beim Hören des neuen Albums trotzdem groß ausfällt.
Singen kann Bruun ja, und wenn sie sich noch Leute dazu holt, die dies mit ihr gemeinsam unternehmen, ist der Eindruck von Abba-Harmonien insbesondere bei den ersten Songs auf diesem Album nicht mehr weit. Myrkur verwendet hier indes mehr Gitarren als das Nachbarquartett, auch wenn sie sie weniger brutal zum Einsatz bringt, als es das immer ihr trotz allem noch anhaftende Label Black Metal erwarten lässt. „Like Humans“ und „Mothlike“ sind perfekter flotter Pop, der die Stimmung auf eine Weise anhebt, dass man sich nicht nur trotz erster Skepsis nicht dagegen wehren mag, sondern auch noch bereitwillig darauf einlässt. Befremdend, aber äußerst reizvoll.
Dabei beginnt das Album mit dem Instrumental „Bålfærd“, „Feuerbestattung“, das musikalisch direkt an Myrkurs vorheriges Album „Folkesange“ anschließt, das, der Titel sagt es, Volkslieder nachempfindet, mit entsprechendem Instrumentarium wie Nyckelharpa. Sanft nimmt Bruun also die Hörenden auf, mit himmlischem Gesang zu zarter Leier. Dann kommt direkt „Like Humans“, dessen Akkorde zunächst nach einfallslosen Popstrukturen klingen, die man auch von Mainstream-Metal kennt, und man fürchtet sich. Doch dann lässt Bruun eben Abba vom Stapel, das Stück behält die simpleren Akkorde zwar bei, errichtet aber fuzzy Basswände und verträgliche Gitarrenmauern um die entrückten Stimmen herum. Den Text lieferte übrigens Brian Harding, mit dem Bruun zuvor bei den Ex Cops und den Minks spielte, noch so ein Zirkelschluss.
Noch eingängiger wird dann „Mothlike“, das einen strahlenden Kontrast zum Titel bildet, fröhliche Melodien wie mit dem Synthie hingeflötet, sanfte Riffs im Hintergrund, schöner Gesang abermals, aber weil sie es nicht lassen kann, bringt sie im letzten Drittel für wenige Sekunden zwar sanft, aber einen brüllenden Einblick in den Black Metal unter, wundervoll im schönsten Popkleid, und danach ein Gitarrensolo wie in „The Final Countdown“. Und der spacige Synthiebeat läuft weiter. Unglaublich!
Dann wagt Bruun mit Billy Corgans Hilfe den Bruch: „My Blood Is Gold“ ist mit Piano und Streichern und Hall umgesetzte Kammermusik, die man so aus dem „Mausoleum“ schon kennt. Alsbald erhebt sie abermals ihre Stimme für kurze Sequenzen und setzt dann das Kammerspiel mit ergänzendem Rockinstrumentarium im Titelsong fort, dem zweiten mit Corgans Arrangement. In „Valkyriernes Sang“ hingegen lässt sie ihre Black-Metal-Blastbeats vom Stapel und wuchtet den Song als massiven Bruch zu dem davor in der Hörenden Nervenkostüm. Aber eigentlich auch nur als Idee, denn der Song ist an sich ein zwar rauher, aber ein schöner Popsong mit dem nun typischen Gesang, in den Myrkur dezidiert Gekreisch und Gebretter einbindet. Dass hier bloß keine Zweifel daran aufkommen, woher sie musikalisch kommt. Und wehe, hier erwähnt jemand Nightwish! So theatralisch und plakativ wird Myrkur nie.
„Blazing Sky“ hat im Hintergrund Gitarrenfiguren wie eine Powerballade aus den Achtzigern. Drüber liegt aber der neue Myrkur-Pop, der gruftige Melancholie und himmelstürmende Positivität mit Folklore-Instrumenten unterbricht. „Devil In The Detail“ ist eine von Corgan arrangierte Sakralklassik-Powerpop-Metal-Ballade – und das finale „Menneskebarn“ ein Schlaflied für ihr Kind, das nicht unangenehm aus der Reihe fällt, sondern dem Album einen wohligen Abschluss verleiht.
Den Black Metal, mit dem Bruun vor zehn Jahren die Szene gegen sich aufbrachte, was ihr mit den Metal-losen folgenden Alben sogar noch besser gelang, gibt’s hier also nur noch in kleinen Dosen, aber das macht nichts, es ist ein Abenteuer, Myrkurs Werdegang zu verfolgen und ihre Mutterschaft zu begleiten. Das in Island und vornehmlich mit skandinavischen Musikern, darunter múm-Mitgründerin Gyða Valtýsdóttir und Maria Franz von Euzen und Heilung, aufgenommene „Spine“ gibt’s ist drölfzig verschiedenen Vinylfarben – aber leider fehlt komplett das andere in diesem Jahr veröffentlichte Myrkur-Album, nämlich der Soundtrack zu „Ragnarok“, der ausschließlich digital vorliegt. Als limitierte Bonus-LP wäre dies eine feine Idee gewesen, wenn schon nicht separat.