Von Onkel Rosebud
Meine Freundin mag Serien, die jenseits von 66° 33′ 55″ nördlicher Breite stattfinden. Wenn bei uns die Moderatorin im Radio am Morgen flötet: „36 Grad. Das ist ein SSSupersssommer!“, dann bekommt sie wenigstens am Bildschirm kalte Füße. Deshalb war der norwegische Serien-Klassiker „Lifjord“ für sie ein Muss. Und darum geht’s:
Gespannt wartet die Party auf die Landung des Hubschraubers. Er soll die Vertreter einer chinesischen Firma in das norwegische Nest Lifjord bringen, wo eine von der Insolvenz bedrohte Firma auf neue Investoren hofft. Der Bürgermeister und die Geschäftsführerin Eva lächeln den Besuchern entgegen. Doch als sie den letzten aus der Maschine steigenden Ankömmling erkennt, gefriert ihr Blick: Es ist Aksel, der Mann, den sie für den Mörder ihrer Tochter hält. Er war nach der Tat vor 20 Jahren freigesprochen worden, hatte seine Heimat verlassen, sich in Asien eine Karriere aufgebaut und kehrt nun als Investor zurück. Das ist die Konstellation der norwegischen Serie „Lifjord – Der Freispruch“.
Auf den ersten Blick könnte man die Geschichte als typischen finsteren Skandinavien-Krimi einsortieren, der mit Luftaufnahmen der herrlichen, spätsommerlichen Fjordlandschaft gespickt Lust auf einen Angelurlaub macht. Die Serie hat aber noch mehr zu bieten. Natürlich läuft am Ende alles darauf hinaus, den ungelösten Fall endgültig aufzuklären. Letztendlich erzählt die Serie allerdings viel mehr über ihre Charaktere als über die Tat an sich. Die Dynamik einer abgelegenen Kleinstadt, in der man sich gegenseitig misstrauisch beäugt und für eine der Gemeinschaft zufolge „falsche Meinung“ schnell ausgegrenzt wird, bildet den roten Faden, ohne bekannte Muster zu kopieren oder die Bewohner übertrieben schrullig darzustellen. Zum Glück werden keine Klischees bedient. Im Gegenteil, die Motive der ProtagonistInnen kann man kaum bzw. oft nur widerwillig nachvollziehen, weil sie sich im nächsten Moment schon wieder als potenziell zweifelhafte Gestalten entpuppen.
Die Serie kann sich lange nicht entscheiden, ob sie ein Familiendrama, Coming-of-Age, Whodunit oder Psychothriller sein will. Am Ende ist sie alles zusammen. Die Spannung erwächst aus den Reaktionen der Beteiligten. Das fordert Aufmerksamkeit und die Handlung fließt manchmal dahin wie eine thixotrope Flüssigkeit, lohnt aber die Mühe.
Erstaunlich ist, dass sich so gut wie keine der Figuren als eindeutiger Sympathieträger hervortut. Der scheinbar unschuldige Aksel neigt tatsächlich zu Gewaltausbrüchen und Trunksucht, sein jüngerer Bruder verheimlicht etwas, die verbitterte Eva ist eine Meisterin der Manipulation und ihr Mann scheint irgendetwas wiedergutmachen zu wollen, zeigt aber gleichfalls unvermittelt finstere Seiten. Nicht nur der Zusammenhalt in dem Kaff, in dem nie die Sonne scheint, und der Firma, die die Welt retten kann, steht auf dem Spiel, sondern viel vordergründiger langjährige Freundschaften, Ehen und Beziehungen, die an Misstrauen und Selbstgerechtigkeit zu scheitern drohen. Dennoch geht das Konzept von Lilyhammer-Showrunner Geir Henning Hopland auf: Es geht um Schuld und Vergebung, um das Bild, das sich einer vom anderen macht, und darum, was dieses Bild mit der Wirklichkeit zu tun hat.
In Norwegen waren zwei Staffeln (18 Folgen à 45 Minuten) „Lifjord“ ein Straßenfeger. Die düstere Ästhetik skandinavischer Krimis trifft auf das schnelllebige Geschäftsleben der asiatischen Großstadtwelt. Hier wird solide, konzentriert und spannend erzählt sowie meisterhaft gefilmt und atmosphärisch verdichtet. Die Auflösung befriedigt die aufgestaute Neugier angemessen.
P.S.: „Lilyhammer“ ist auch eine unbedingte Guckempfehlung. Mit Steven Van Zandt in der Hauptrolle, früher Gitarrist in Bruce Springsteens E-Street-Band und später als „Sil“ die „Hand of the King“ von Tony Soprano. Bada-Bing!