Von Matthias Bosenick (04.08.2023)
Kaum in Kalifornien angekommen, um die sterbende Mutter des einen zu begleiten, zwang Corona das New Yorker Paar Roddy Bottum und Joey Holman in die Isolation – wie fast alle Menschen der Erde, klar. Aus der Not gebaren die beiden Musiker ein On-The-Road-Recording-Projekt, nannten es Man On Man und behandelten auf dem selbstbetitelten Debüt schwul-queere Themen zu süßen Melodien und gitarrenunterfüttertem Electro-Poprock. Zwei Jahre später gibt’s mit „Provincetown“ Nachschlag, im ähnlichen Sound, doch mit einer weniger hellen Stimmung. In der vermeintlichen Süßlichkeit mancher Arrangements und Melodien liegt etwas nicht immer nur unterschwellig Aggressives, etwas Melancholisches, etwas Genervtes. Gut so: Eine pure Hedonismusplatte wäre ja auch nicht zu ertragen gewesen. Auch wenn sie Babyblau ist.
Electro-Drums, die kennt man ja etwa Dank Suicide oder The Normal auch in alternativ orientierter Musik seit den späten Siebzigern; im Rock-Kontext traten sie kaum wenig später auf, die Sisters Of Mercy integrierten sie auf eine Weise in ihren Gothic Rock, nach der sie streckenweise kaum überhaupt als elektronisch wahrgenommen werden konnten. Seitdem sind 40 Jahre vergangen, die Technik schritt voran, mit ihr die Möglichkeiten, Instrumente auf eine Weise zu programmieren, die sie als natürlich erscheinen lassen, und doch tragen insbesondere Electro-Drums ja auch etwas in ihrem Sound, das man gern hat, das man herausarbeiten möchte, und so verfahren Man On Man: Man hört, dass das Schlagzeug künstlich ist, der Sound ist zu satt, zu fett, zu synthetisch, um echt sein zu können, lässt aber gleichzeitig einen humanoiden Schlagzeuger nicht vermissen, weil er sich bestens in den Gesamtsound einfügt, besser: ihn streckenweise sogar definiert. Man On Man sind eigen wegen, nicht trotz der Electro-Drums.
Gitarre und Bass sowie Gesang sind ja schließlich echt, und darin sind Holman und Bottum über die Jahrzehnte geübt genug, um ihre Kenntnissen und Fähigkeiten wohlklingend zusammenzufügen. Sie scheuen das Harmonische nicht, sie scheuen keine lieblichen Einfälle, und sie scheuen auch nicht davor, Synthies einzusetzen, Gott bewahre, schließlich ist Bottum bei Faith No More ja auch der Keyboarder, und so hört man über den Saiteninstrumenten Flächen und Kreischsounds, dass es eine Freude ist. Und doch ist „Provincetown“ in seiner Gesamtheit dunkel, ist das Tempo gesetzt, ist die Party gelaufen; jetzt wird kontempliert, reflektiert, analysiert, zurück- und nach vorn geblickt. Schließlich hat sich der Zustand der Welt seit der Pandemie nicht eben verbessert, in allen Belangen: Obschon das Paar das Schwulsein im gesetzten Alter grundsätzlich feiert, sieht es sich einer verrohten, gewalttätigen, rücksichtslosen, nach rechts driftenden, verdummenden, ignoranten Gesellschaft ausgesetzt. Und singt davon, ebenso von den komplexen Schwierigkeiten innerhalb der queeren Community.
Der Opener „Take It From Me“ kreischt im unteren Midtempo, zumindest übernehmen die Synthies das Kreischen, der Gesang ist zurückgenommen, der Sound schwer. Mit „Showgirls“ folgt eine flotte Uptemponummer, deren scharfe Gitarren und melancholische Gesangsharmonien indes eher dazu einladen, auf dem Dancefloor gemächlichen Schrittes nach Geldstücken zu suchen, als die Arme in die Luft zu werfen. Selbst das folgende „I Feel Good“ straft den Titel Lügen. Natürlich schimmern die Achtziger hier stets durch, das lässt sich nicht vermeiden, im Gegenteil, das ist sicherlich gewollt, und es ist nicht auszuschließen, dass es eine Musik wie diese auch in den Achtzigern bereits gegeben haben könnte; hat es in dieser Konsequenz und Kombination aber nicht, auch wenn man sich so eine warme, still groovende Preziose wie „Kids“ gern 1985 in den Charts imaginiert.
Denn nicht zu vergessen sind eben die Saiteninstrumente, die das Duo hier bedient. Bei aller Freude am Electroclash und am Synthiepop sind die beiden doch Rock’n’Roll-Musiker, und in dieser Funktion bedienen sie ihr Instrumentarium gelegentlich über das Songdienliche hinaus, generieren Drones und Flächen, unterlassen es aber, bratzig zu werden oder Riffs zu bemühen. „Who Could Know“ gerät sogar zu einer folkig-wavigen Repetitions-Ballade, und für ein gepflegtes Gniedelsolo im Finale „Hush“ lassen sie J Mascis einfliegen, wundervoll.
„Provincetown“ in Massachusetts, an der Spitze des sich chamäleonschwanzartig einrollenden Cape Cod gelegen, lässt die Hörenden schwermütig zurück, das gelingt Man On Man allein über die Musik und die Art des Gesangs, der zuletzt maßgeblich Wehmut und Erschöpfung vermittelt. Homosexualität ist nichts, womit es sich federleicht leben lässt, das machen die beiden mit „Provincetown“ spürbar. In dieser musikalischen Schwere liegt unendliche Schönheit, und das zeichnet die guten Musiker aus. Man On Man lässt sich noch am ehesten mit Imperial Teen vergleichen, der anderen queeren Band Bottums, das ebenfalls schwullesbische Themen mit flockigem Indierock kombiniert, nur eben nicht so synthetisch.