Von Guido Dörheide (27.07.2023)
Der Klappentext von Jürgen H. Mochs „Fantasyhommage an Deutschlands mystisches und uraltes Mittelgebirge“ (so steht es auf Seite 3 des Romans) beginnt mit „Die 15jährige Elisabeth ist von ganz besonderem Blut“; auf dem Titelbild sind drei Kinder abgebildet, die mit dem Rücken zu einem Gewässer stehend den Vollmond über dem Brocken ansehen. Also ein Buch für Kinder und Jugendliche? Für Erstere ganz klar nein, für Jugendliche im Alter der Protagonisten schon, und in erster Linie richtet sich der Roman an Erwachsene.
Was es mit dem „ganz besonderen Blut“ genau auf sich hat, wird hier nicht verraten, schließlich ist www.krautnick.de ein Kultur- und kein Automagazin, also haben Spoiler hier nichts verloren. Die Spiegelungen der Kinder auf der Gewässeroberfläche auf dem Titelblatt lassen jedenfalls schon mal ahnen, dass es tatsächlich fantastisch zugehen wird im ersten Roman von Jürgen H. Moch. Moment – ich und Fantasy? Ein Genre, um das ich mit Ausnahme des Werkes von Terry Pratchett immer den größtmöglichen Bogen mache? Und dann noch knapp 700 Seiten dick! Wieso habe ich mir das dennoch durchgelesen? Ganz einfach: Die Handlung des Romans spielt fast ausschließlich in Clausthal-Zellerfeld und Umgebung, also dort, wo ich mich aus unmittelbar einsichtigen Gründen seit längerer Zeit am Allerliebsten aufhalte. Moch beschreibt CLZ sehr detail- und kenntnisreich; da er wie ich nicht von dort stammt, erinnert mich seine Perspektive oft daran, wie ich die Stadt wahrnehme. Damit hat er mich dann gleich an den Roman gefesselt, Fantasy hin oder her.
Alsdann, gehen wir es an und stürzen uns möglichst spoilerfrei auf den Inhalt: Die bereits erwähnte 15jährige Elisabeth fühlt sich wohl in Hannover. Was ich gut verstehen kann, denn ich mag Hannover ebenfalls, und außerdem ist es mit dem Auto leicht zu finden, wie Ihnen meine Liebste bestätigen kann. Mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Klara zieht sie am Anfang des Romans nach Clausthal-Zellerfeld, weil ihr Vater, ein Mathematiker, eine neue Stelle an der TU Clausthal antritt. Anstatt sich zu freuen, dass der Vater nicht an die TU Braunschweig wechselt (davon steht im Roman nichts, aber als Wahlbraunschweiger muss ich hier doch wenigstens am Rande auf die geradezu fanatische und hochgradig peinliche Feindschaft zwischen den beiden größten niedersächsischen Städten eingehen), ist Elisabeth wenig begeistert über den Umzug. Sie freundet sich mit Sabrina und Theobald an und alsbald beginnt sie sich im Harz einzuleben. Das mit dem ganz besonderem Blut trifft auch auf Elisabeths neue Freunde zu, wie sich schnell herausstellt und vor allem die Grundlage für die Handlung des Romans darstellt.
Alles beginnt mit einem Autounfall, den Elisabeth und ihre Mutter Emilia zu Anfang der Handlung durchleben und bei dem der Unfallgegner zunächst mysteriös bleibt, sowie mit der Tatsache, dass Elisabeth warum auch immer zeitlebens auf eine merkwürdige Medikation angewiesen ist. Beides wird im Laufe des Romans aufgelöst, und auf dem Weg dahin sollten sich die Lesenden gut festhalten. Moch zaubert eine grandiose Idee nach der anderen aus dem Hut und schafft es mit seinem mitreißenden und anschaulichen Schreibstil, sein Publikum auf eine Reise auf eine Seite des Harzes mitzunehmen, die sich normalen Reisenden (m/w/d) nicht offenbart. Dabei gelingt ihm der Geniestreich, dass man das Buch, obwohl es stellenweise so fantastisch ist, dass man es kaum noch nachvollziehen mag, das Blut teilweise in Strömen fließt und einem die hier noch wohldosierten sich am Rande der Jugendfreiheit bewegenden Stellen oft die Schamesröte ins Gesicht schießen lassen, kaum aus der Hand zu legen vermag. Am Ende fügt sich alles zusammen und die wichtigsten Akteure haben zum Glück überlebt.
„Harzmagie: Blutsbande“ ist meine Urlaubslektüreempfehlung für alle mindestens 16jährigen Lesenden, die etwas über den Harz erfahren wollen und die mystisch-übersinnlicher Spannung nicht abgeneigt sind.
Der Roman ist im Verlag EPV, Duderstadt erschienen, mehr Infos unter https://harzkrimis.de/.
Nachtrag: Im Jahr 2022 ist unter dem Titel „Harzmagie: Sogwirkungen“ ein zweiter Teil erschienen, der ebenso packend und fesselnd ist wie der erste Teil, mich aber ein klitzekleines bisschen weniger überzeugen konnte als der erste Teil. Zum Einen wirkt mir die Handlung hier ein wenig zu überfrachtet mit magischen Wesen, Göttern und allerley Schabernack und zum Anderen steht mir stellenweise das Thema mit den drei Buchstaben zu sehr im Vordergrund. Keine Frage – dass der Autor mit dem Thema Sex unbefangen umgeht und vor allem die Agierenden dabei nicht in überalterte Rollenklischees verfallen, sondern sich selbstbewusst und gleichberechtigt verhalten, finde ich sehr gut. Teilweise finde ich das Thema jedoch um seiner selbst Willen zu sehr in den Vordergrund gerückt. Trotzdem empfinde ich auch „Sogwirkungen“ als gut erzähltes und fesselndes Werk – wer also einen längeren Urlaub geplant hat und mehr als 1.000 Seiten Lektüre benötigt, kann getrost beide Bände mitnehmen.