Von Matthias Bosenick (20.07.2023)
Ich mochte solche Musik nicht, als sie neu war, ich mochte sie nicht, als sie als Retro-Phänomen neu war, und ich mag sie auch immer noch nicht, wenn jetzt selbst das Retro-Phänomen retrofiziert wird. Sowas macht sicherlich einige Laune bei 1,3 Atü auf dem Altstadtfest, wenn man sich gegen kurz nach nachts nicht entscheiden kann, ob man bleibt, noch in den Club gehen soll, in dem man 30 Jahre zuvor abhottete und in dem man jetzt von Kids umringt wird, oder besser gleich nach Hause, bevor man vergisst, dass man zum Ausnüchtern inzwischen drei Tage braucht. Big Red Fire Truck aus Sydney spielen auf „Trouble In Paradise“ alle Level durch: Powerchords, Gniedelsoli, mehrstimmiger Grölgesang zum Mitmachen, matschige Drums, Neonschrift auf dem Cover, Löwenmähnen, Jeansjacken, Wildtierprintklamotten und Schnauzbärte, angeblich Hardrock, aber das gilt vielleicht für Anfang der Achtziger gerade noch so – 2023 gibt’s seit 40 Jahren Härteres und Rockigeres. Auch ohne FCKW ist Haarspray diskutabel.
Und damit ist eigentlich alles gesagt über „Trouble In Paradise“: Nix Neues, absolut gar nix, nicht mal im Sound, alles verhaftet in einer Vergangenheit, die bunt war, voller Spandex und Haarspray, und die sich erdreistete, sich im Plattenladen unter Metal einsortieren zu lassen. Die genauen Bezeichnungen differieren etwas: Hairspray Metal, Hair Metal, Glam Metal, Sleaze Rock. Die ersten Protagonisten bezogen sich musikalisch noch auf Slade, Kiss, New York Dolls oder The Sweet, und zusätzlich die Outfits betreffend auf Roxy Music, David Bowie und T-Rex, also feminine Kleidung getragen von langhaarigen Männern, eigentlich visionär in Zeiten der heute noch nicht überwundenen, im Gegensatz eher erstarkten Homophobie allerorten. Pluspunkt, aber trotzdem bleibt die Mucke, und außerdem ist das Genre gleichzeitig geprägt von Sexismus: Frauen sind Schüttgüter wie Alkohol, Geld und Autos, also trotzdem alles komplett maskulin.
Wer will sich schon ernsthaft in eine Reihe stellen mit Genre-Vertretern wie Ratt, Dokken, Skid Row, Poison, Winger, Cinderella oder deren Wiedergänger Steel Panther und The Darkness? Big Red Fire Truck wollen es. Und sie wollen es hart, nur sind sie es nicht. Die gute Nachricht: „Trouble In Paradise“ ist kein Album, sondern nur eine etwas längere EP, nach sechs Stücken ist alles schon wieder vorbei. Die schlechte Nachricht: Diese sechs Stücke kommen einem ewig vor, nicht nur ewiggestrig, und „Trouble In Paradise“ ist nicht das Debüt, es gibt von Big Red Fire Truck seit 2019 bereits die Single „Primal Heat“ und eine selbstbetitelte EP. Noch mehr so Zeug, und in Australien und dem Vereinigten Königsreich findet es ein begeistertes Publikum.
Nichts gegen Achtziger-Seligkeit, „Stranger Things“ etwa beherrscht das Spiel ganz gut und denkt es aus der Jetzt-Perspektive, aber mit so etwas wie Big Red Fire Truck und Glam Metal ist bei mir kein Blumentopf zu gewinnen. Damals nicht, heute nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Poison“ von Alice Cooper ist geil, Twisted Sister haben auch schon den ironischen Anflug, aber nicht den rein kommerziellen wie die postmodernen Wiedergänger. Abgesehen davon, dass das Quartett hier seine Instrumente beherrscht und die Glam-Metal-Bibel auswendig kennt, finde ich an „Trouble In Paradise“ nichts Positives.