Von Matthias Bosenick (23.06.2023)
Der erste Eindruck ist: Schade, sie haben den Fuzz wieder zurückgeschraubt und den Sound in Richtung „The Trinity Session“ heruntergedimmt. Die Songs auf „Such Ferocious Beauty“ erscheinen minimalistischer, klarer als auf „All That Reckoning“, dem bis dato letzten Studioalbum der Cowboy Junkies mit eigenen Songs aus dem Jahr 2018 (abgesehen vom digital veröffentlichten „Ghost“-Minialbum 2020). Dann dreht man das Album lauter, weil man die Feinheiten besser heraushören will, und stellt dabei fest, dass der erste Eindruck nur so semi richtig ist: Da ist noch einiger Fuzz in den Indie-Folksongs, nur eher im Hintergrund, und ganz so kontemplativ-verträumt wie 1988 sind die Kanadier auch nicht wieder, selbst wenn die Songs im langsamen Tempo gehalten sind. Country- und Folk-Fans finden sicherlich immer noch ausreichend Anlass, die Cowboy Junkies aus Montreal zu krass zu finden, und das nicht nur des Namens oder der Herkunft wegen.
Dabei erfüllen die Cowboy Junkies ja schon immer viele Eckpunkte, die man in Country UND Western verortet, so auch auf diesem Album: hier eine Fiddle, da ein akustisch geklampfter Lagerfeuersong wie von Landsmann Neil Young, dort ein Rhythmus wie der Trab eines Pferdes, mittendrin Themen wie Jesus und Hölle, passt schon. Aber die Cowboy Junkies sind ja nicht umsonst vorrangig in der alternativen Indie-Szene verortet, denn an vielen anderen Stellen käme man gar nicht auf die Idee, es überhaupt mit einer Alt.-Country-Band zu tun zu haben, da wird es noisy, psychedelisch, groovy, schlicht indierockig oder einfach Fuzz’n’Roll.
Wenn man nun also glaubt, „Such Ferocious Beauty“ sei vergleichsweise harmlos, tut man dem Album Unrecht und sich selbst nicht den Gefallen, ihm Zeit, Lautstärke und Volumen zu geben. Sicherlich klingen die reduzierten Strukturen ihres Hit-Albums „The Trinity Session“ durch, so zerbrechlich, wie es beginnt und endet, mit Margo Timmins‘ zurückhaltendem Gesang zur dezent gezupften Gitarre. Doch schon der Opener „What I Lost“ bekommt plötzlich ein kantiges stoisches Schlagzeug und einigen Druck. Das folgende „Flood“ mit der dem Album den Titel gebenden Zeile „Such Ferocious Beauty“ mittendrin startet mit einem störenden Gitarrenloop, der von groovendem Bass, leicht angezerrter Effekt-Gitarre, dringlichem Schlagzeug und bei Philip Glass abgelauschter Drei-Ton-Melodie im Hintergrund abgelöst wird. Nahezu unmerklich steigern die Cowboy Junkies hernach das Tempo, die Kraft, mit der das Schlagzeug bedient wird, den Verzerrgrad der Gitarre und die Intensität des Gesangs, im Wechsel mit trotzdem eigensinnigen Zugeständnissen an die Nashville-Gemeinde. Höhepunkt ist die Single „Shadow 2“, zu der es keinen Teil 1 gibt; der Beat geht in Richtung up, er shuffelt und groovt, auch wenn der Song eher fragil instrumentiert ist. Anschließend bleiben die Zügel wieder lockerer, das Vehikel entschleunigt sich, setzt weitere Akzente mit Geige, düsterer E-Gitarre, wie immer großartig eingesetzter Triangel und Flamenco-Anleihen und fadet ins Nichts aus.
Ja, „All This Reckoning“ hatte mehr Noise, das stimmt schon, aber man wird ja auch nicht jünger und hat zudem so einige Schicksalsschläge zu verdauen gehabt, etwa den Tod der Mutter der Simmins-Geschwister, die den Hauptteil der Band ausmachen. Aus diesem Anlass nahmen die Cowboy Junkies 2020 das Minialbum „Ghosts“ auf, das sie physisch ausschließlich einer auf 500 Einheiten limitierten Variante der Vinyl-Ausgabe des Albums „All This Reckoning“ beifügten. Ein trotz im Vergleich zu den Neunzigern rückläufiger Aufmerksamkeit enttäuschender Move, und weder der erste noch der letzte. Viele Bonus-Tracks der „Nomad“-Alben waren trotz der Bonus-CD in der Box-Variante und der noch limitierteren Vinyl-Version mit einer Bonus-Bonus-12“ nur digital angeboten, die Veröffentlichung des 1989 aufgenommenen und bis dato verschollenen „Sharon“-Albums fand 2022 als überteuertes und extrem limitiertes Vinyl statt, eine CD mit Neuaufnahmen von ausgewählten Songs der Nullerjahre gab es 2015 nur als Bonus zu der CD-Box „Notes Falling Slow“ mit den remasterten Alben jener Zeit, und zählt man diverse Demo-Sammlungen und weitere digitale Einzel-Veröffentlichungen dazu, lässt sich eine angenehme Anzahl an für Fans erschwinglich physisch zugänglich zu machender Musik ausmachen. Nebenbei, nicht zu unterschlagen sei „Songs Of Recollection“, ein Album mit Coversongs, das die Cowboy Junkies 2022 aufnahmen und das „Such Ferocious Beauty“ quasi direkt voranging.