Von Matthias Bosenick (19.06.2023)
Ole Luk hat keine Angst davor, Akustikgitarren in den Black Metal einzubauen. Schön auf die Zwölf gibt’s natürlich trotzdem, auch wenn er sich unter dem Ein-Personen-Solo-Alias Afsky mit einem Bein in den postmodernen Post-Black-Metal-Gefilden herumtreibt; das andere hat er in der Tradition verankert. Heißt, dass er sehr wohl die Blastbeats und das Gekeife beherrscht, aber das Tempo insgesamt gedrosselt hält und mit den elektrifizierten Gitarren atmosphärische Flächen generiert und damit untermauert, dass seine Variante von Black Metal ausgesprochen emotional behaftet ist. Dazu trägt bei, dass Luk ein versiertes Händchen für Harmonien hat, die er in seinen Lärm kleidet, den er wiederum mit komplett zurückgenommenen Sequenzen unterbricht. „Om hundrede år“ ist tiefdunkel und in seiner heavy Verzweiflung wunderschön. Der Vorgänger „Ofte jeg drømmer mig død“ legte die Qualitätsmarke für grenzüberschreitenden Black Metal ja sehr hoch, Afskys drittes Album reißt sie gottlob nicht ein.
Man möchte Ole in den Arm nehmen und ihm ein Halsbonbon geben, so mitreißend schwermütig, wie die Musik ist, und so extrem, wie er die auf Dänisch gehaltenen Texte kreischt. Er lässt das Album, wohl als Quasi-Fortführung der Akustik-EP „I stillhed“ aus dem vergangenen Jahr, mit der Akustikgitarre einläuten, zart, zerbrechlich, man ist sehr geneigt, die Lautstärke anzuheben, und dann überrollt einen Afskys Rausch. Der indes fein ausgestaltet ist, trotz einer bratzenden Gitarrenwand, da sitzt jeder Schlag auf die Drums, da groovt es – und da schießt die Akustische dezidiert dazwischen, versucht, das sich auftürmende Meer zu beruhigen, aber es gelingt nicht, die Stimme übernimmt und kreischt wie der Sturm. Beim Blick auf die Coverrückseite stellt man fest, wie gut Ole den Titel des Tracks damit umsetzt, denn der lautet „Stormfulde hav“, also „Stürmisches Meer“. Genau so klingt es, und man kann ahnen, dass damit nicht allein die Ostsee gemeint ist, in deren Nähe der Musiker lebt, sondern vielmehr etwas Inneres. Das Meer, welches auch immer, wogt und tost und läuft dann wiederum akustisch aus. Erst jetzt traut man sich, auch wieder Luft zu holen.
Man sagt dem Black Metal ja gern nach, kalt zu wirken, und Afsky gibt sich auch alle Mühe, dem zu entsprechen, schon mit dem Titel des nächsten Stücks, „Frosne vind“, „gefrorener Wind“, doch spricht es sehr für ihn, dass ihm das nicht gelingt, sein Black Metal trägt immer ein glühendes Herz in sich, und sei es nur das der Hoffnung, die Kälte zu überwinden; sein hohes Keifen, sein durchdringendes Kreischen, all das untermauert diese Wahrnehmung nur, anstatt die Kälte aus den Rillen tropfen zu lassen. Dafür spielt er die Gitarren einfach zu warm und sind die Harmonien zu – nun: harmonisch, als dass man seine musikalische Verzweiflung als lebensverneinend wahrnehmen könnte.
Natürlich lässt sich Afsky tief und ausführlich in die Stimmungen sinken, die er in den sechs Songs errichtet, da erfüllt er das Epische, das dem Black Metal inneliegt. Zudem gestaltet er viele Songs nach der Gaußschen Verteilungskurve, indem er sie sanft ein- und Schrägstrich oder ausleitet, mit einer E-Gitarre etwa, deren spärliche Akkorde in der Leere verhallen, bevor Schrägstrich nachdem ebenjene Gitarre im Verbund mit den restlichen Instrumenten dunkel dräuende Gewitter tosen lässt, oder auch mal mit einem Spinett; der Mann weiß, wie man Regeln bricht, weil er weiß, wie man sie einhält, deswegen überzeugt seine Musik ja so leicht. Jedenfalls kommt es daher, dass alle sechs Songs Überlängen haben, jeweils zwischen fast sieben und fast acht Minuten, und dabei keine Sekunde zu lang sind.
Kann man sich gar nicht vorstellen, dass das wirklich alles von nur einer Person komponiert, konzipiert und eingespielt wurde, so fein ausgearbeitet, versiert gespielt, abwechslungsreich und gleichsam homogen ist dieses Album. „In hundert Jahren“, so der Titel, wird ihm indes das wiederfahren, was er im finalen Song „Fred være med støvet“ anspricht: Frieden seiner Asche. Bis dahin veröffentlicht er hoffentlich noch weitere Alben dieser Art.
Live bekommt Afsky übrigens Unterstützung unter anderem von Musikern der Band Sunken aus Aarhus, deren Black Metal ebenfalls atmosphärisch ist und die zu empfehlen kein Platz zu wertvoll sei. Für Afsky und sein Metalalterprojekt Heltekvad legte Ole Luk vor einiger Zeit sein Amt bei Solbrud nieder, was bedauerlich ist, aber ein Album wie „Om hundrede år“ entschuldigt dies vielfach. Dem farbigen Vinyl liegt, wie auch dem Vorgänger, ein großes Heft mit Texten und Bildern bei, ein schöner Mehrwert, den kein Download bietet. Fedt! Und jetzt ein Hustenbonbon und eine Umarmung.