Von Guido Dörheide (12.03.2023)
Haaach – was ist das für 1 Jahr! Gerade mal knapp mehr als zwei Monate dran am seien, und schon neues Material von zwei meiner liebsten dedicated followers of the UK: Eine Woche vor „UK GRIM“ von Sleaford Mods veröffentlicht slowthai als weiterer Chronist des decline of the British Empires sein drittes Album und lässt wiederum kein gutes Haar an den rauchenden Trümmern desselben.
YNWA – You‘ll never walk alone. Das kennen wir. Und nun lernen wir: UGLY – You gotta love yourself. So heißt slowthais neues Album nämlich ausgeschrieben. Tyron Kaymone Frampton, wie slowthai mit bürgerlichem Namen heißt, begeisterte mich im Jahr 2019 mit „Nothing Great About Britain“ zutiefst, schoss sich dann Anfang 2020 mit einem missglückten und glücklicherweise schnell verziehenen Auftritt bei den NME Awards zunächst ab, um dann ein Jahr später mit „Tyron“ ein Brett von einem Doppelalbum herauszubringen, das mehr als neugierig auf sämtlichen weiteren Output machte.
Und mit UGLY liefert slowthai ein drittes Album, das meiner Meinung nach auch als Debüt reingehauen hätte, als wäre noch einiges großartig an Großbritannien. Und musikalisch ist es das auch. Bislang habe ich slowthai als ganz hervorragenden reinen Rap/Grime-Artisten angesehen, und auf diesem Feld ist er auch auf UGLY weiterhin tätig, aber nicht nur. Glücklicherweise nicht nur, denn dass slowthai rappen kann und dabei einen Flow hat, der seinesgleichen sucht und beim Hören Laune macht, hat er auf seinen ersten beiden Alben bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Aber auf UGLY stellt sich slowthai stilistisch breiter auf, als ich das für möglich gehalten hätte: Der Opener „Yum“ beginnt mit sanfter Elektronik, Gehechel und einem in aller Deutlichkeit darüber gelegtem „You‘re great you‘e good you‘re king you‘re queen, you‘re a genius.“ Der Song wird lauter, rhythmischer und, ja – härter. Die Musik baut sich zu einem industriellen Geballer auf und slowthai singt „The other day I had a conversation with my therapist, I was tellin‘ him ‚bout situations I always end up in how I act impulsively, how things seem to happen to me. I was sayin‘, ‚Poor me, sorry me, sorry sir‘, he said, ‚Tyron, you just gotta learn to breathe – imagine you’re on a staircase and each step you take is a step down from bein‘ at that level‘. He said, ‚Breathe, breathe, breathe‘.“ Das Lustige daran ist, es hat ihn nur mehr angepisst. Am Ende schreit der Protagonist des Songs. Impulsiv und beeindruckend, großes Songwriting.
Das folgende „Selfish“ ist Indie-Rock mit Schlagzeugmaschine, jeder, der in den 80ern musikalisch weitab des Mainstream sozialisiert wurde, fühlt sich hier zuhause. Der Text beschäftigt sich mit der Notwendigkeit des Arschkriechens, um irgendwo aufzusteigen, und der Refrain besteht passenderweise ausschließlich aus „I‘m just thinkin‘ for myself“. Das folgende „Sooner“ könnte auf jedem Album vertreten sein, an dem Peter Doherty beteiligt war, und das spricht mehr als für sich. Geile Gitarre, geile Melodie, geiler Gesang und zudem noch extrem tanzbar. Wow!
„Feel Good“ klingt wie der Punk der 2020er Jahre, auf „Never Again“ croont slowthai zunächst und man fragt sich, ob er dem Sprechgesang nun ein für allemal abgeschworen hätte, doch bereits in der ersten Strophe rappt er wieder, als hätte er seit „Nothing Great About Britain“ nichts anderes mehr getan, und bringt mit seiner einerseits schüchtern klingenden und andererseits unverwechselbaren Stimme die trostlose Hoffnungslosigeit ungewollter Schwangerschaften auf den Punkt.
Das Album springt zwischen Grime und Alternative hin und her und ich bin begeistert, wie gut slowthais Stimme und Gesangsstil abseits des Rap hinhauen. Auf „Happy“ muss man sich beispielsweise nur den Refrain anhören, um begeistert zu sein, „Falling“ holt dann wieder die Doherty-Fans unter den slowthai-Fans ab, außerdem hört man slowthai bei diesem Song mal richtig schreien, großartig; auf dem darauf folgenden „Wotz Funny“ haut die musikalische Untermalung in dieselbe Kerbe wie bei Shame oder den Idles, auch das beherrscht slowthai, ohne dabei weniger als unverkennbar zu werden, mit „Tourniquet“ folgt danach ein sehr ruhiges Stück, bei dem sich slowthais Gesang am Ende auch wieder irgendwie in Rage hineinsteigert, und das abschließende „25% Club“ erstaunt durch die anfänglichen Elektroklänge, über die slowthai dann einen unverwechselbaren Gesang legt und sogar Epping Forest erwähnt, den ich bislang nur von Genesis kannte. Und ja, ebenso abwechslungsreich finde ich „UGLY“. Wer hätte das gedacht?