Von Matthias Bosenick (07.03.2023)
Fetzige Melancholie und melodische Tanzbarkeit als catchy Rockmusik, so kommen Dobbeltgjenger aus Bergen auf ihrem vierten Album „The Twins“ daher. Darauf mischt das Quartett Anlehnungen an guten Achtziger-Pop, den Dance Rock (offizielle Wikipedia-Klassifizierung) von !!!, den Funk von INXS und den Synthierock (ebenfalls Wikipedia) des Debüts der Dänischen Nachbarn Spleen United zu einer gutgelaunten Depressions-Verarbeitungs-Platte. „The Twins“ ist ungemein ohrwurmlastig und mitreißend, die Norweger kombinieren Rockinstrumente und Electroeffekte auf eine organische Weise zu einer Radiomusik, wie man sie sich 2023 viel viel lieber wünschte als die, die man stattdessen zu hören bekommt.
Hier ist scheinbar alles auf den Effekt ausgelegt, und der Effekt soll wohl maximal eingängige Unterhaltung sein. Die Songs funktionieren als Popwerkzeuge, die in ihrer regelmäßigen Anwendung trotz dunkler Themen für eine angenehme Grundstimmung beim Konsumenten sorgen. Mit deutlich mehr Qualität als alles, was „die Hausfrau nicht beim Bügeln“ stören soll (Zitat Krüger), da hebt es „The Twins“ sehr weit über das Gewöhnliche hinaus. Obschon man es bei Dobbeltgjenger mit hörbar versierten Musikern zu tun bekommt, setzen sie ihre Fähigkeiten nicht dazu ein, komplexe Stücke und Sounds zu erstellen, sondern funktionale Songs mit komplexer Tapete; ein kurzes Gitarrensolo wie in „Blood Money“ stellt die Ausnahme zur Regel dar. Auch in den Songlängen hält die Band in den 13 Liedern vornehmlich das klassische Radioformat ein.
Hier spielt alles zusammen: Der Gesang transportiert vielseitige, abwechslungsreiche Melodien, die dabei auch noch eingängig sind, dazu gibt es dicht gespielte Musik mit Elementen aus Rock und Synthiepop, die zusammengenommen weder das eine noch das andere klar bedienen, aber auch nicht verweichlicht wirken. Ihre Songs durchsetzen die vier mit Breaks und Fills, die sie passend zum Rest anordnen, die den Fluss nicht unterbrechen, die Hörenden aber bei der Stange halten und die ganze Platte bemerkenswert machen. Druck machen sie auch mal, den aber weder heavy noch opulent, sondern – kompakt. Und: schön! Bis hinein in die Balladen, etwa „Toughen Up“ oder der sich kurz in ein Inferno hineinsteigernde Rausschmeißer „Done“.
Einziger Nachteil mag sein, dass man sich bei einigen Elementen an Vertrautes erinnert fühlt, aber die Gesamtheit lässt doch vorrangig die Hüften wackeln als den Kopf greinen. „Pink“ etwa zitiert ausnehmend ungeniert die Pop-Funk-Licks von INXS. Sobald die Stücke mal etwas räudiger sind, wie beispielsweise „Shoot“, erinnern sie an die druckvolle Imperativmusik von !!!, die das Tanzen ja nahezu erzwingt. Und den Mix aus Rock und Electro ohne explizit Roll und Dance kennt man so annähernd von Spleen United, die sich derzeit übrigens nach zehn Jahren Pause auf ihren zweiten Frühling vorbereiten. Ähnlich wie die Nachbarn machen Dobbeltgjenger zwar rockifizierte Tanzmusik und predigen nicht den Hedonismus, sondern lassen auch melancholische Züge zu: „Like A Crocodile“ etwa beginnt mit einem dunklen Synthie-Drone, das Tempo ist reduziert, die Akkorde werfen Schatten. Und so ein Bisschen Bee Gees mag man im hohen Gesang dann auch ausmachen, beispielsweise inmitten von „Genghis Khan“, so etwas passt ja auch zu handgespielter Discomusik.
Das mit der Melancholie hat durchaus eine inhaltliche Entsprechung: Songwriter und Bandkopf Vegard Wikne verarbeitet in mit dem Album seine Depressionen und den Kampf mit seinem dunklen inneren Zwilling. Wie gut, dass er mit Bassist Jone Kuven, Ossicles- und Major-Parkinson-Schlagzeuger Sondre Sagstad Veland, Gitarrist Knut-Martin Langeland Rasmussen sowie Ossicles-Gastmusiker Bastian Veland so versierte und mitfühlende Mitstreiter hat. Zusammen belegen sie, dass Komplexität und Eingängigkeit keine Widersprüche sein müssen. So machen Depressionen gute Laune.
„The Twins“ ist das vierte Album von Dobbeltgjenger, nach „When I’ve Gone To Space“ 2016, „Limbohead“ 2018 und „Smooth Failing“ 2021. Es gab einen Besetzungswechsel, Bassist Jakob Sønnesyn ist seit diesem Album nicht mehr dabei. Das neue ist das kompakteste der vier Alben, auf den ersten dreien integrieren sie das Verspielte, Experimentelle und auch Rockige noch nicht so in einen dichten Gesamtsound, sondern lassen es noch eher jeweils für sich wirken. Es findet also eine Entwicklung statt, hin zu „The Twins“. Erstaunlich übrigens, dass sie bereits 2018 mit „Tin Foil Hat“ über Aluhutträger lästerten. Visionär!